Start frei für den großen Stadtteilreport (WAZ 24.08.2014)
24.08.2014
Start frei für den großen Stadtteilreport
Hochzeit ohne Flitterwochen: Eine Karikatur zur Städteehe Herne/Wanne-Eickel 1975.Foto: Stadtarchiv
Herne. Die WAZ stellt Woche für Woche alle Ortsteile vor. Wir blicken in die Geschichte und wollen wissen, wie gerne die Menschen in ihren Quartieren leben.
Man sollte es nicht für möglich halten, aber auch im Zeitalter fortschreitender Globalisierung zählt immer noch die Verbundenheit zu dem Fleckchen Erde, auf dem man wohnt. „Und so wundert sich der Bürger aus Baukau-Ost, warum der Bezirksbürgermeister von Herne-Mitte dort eine Veranstaltung besucht“, erläutert der Herner Stadtarchivar Jürgen Hagen die ganz spezielle Heimatverbundenheit hier zu Lande. „Manche fragen tatsächlich, was will der hier, wieso schicken die keinen aus Herne.“ Lokalpatrioten kennen die Grenzen
Wobei nicht immer klar sei ,,wo die Grenzen zwischen den Stadtteilen exakt verlaufen, das wissen wohl nur die besonders besessenen Lokalpatrioten: „Die statistischen Stadtteile sind nicht unbedingt kompatibel mit den historischen“, berichtet Hagen. Der jüngst gewonnene Kampf für eigene Nummernschilder in Wanne-Eickel führt vor Augen, dass es zwar den Ruhri im Allgemeinen geben mag, im Speziellen ist er aber Sodinger, Holsterhausener oder Bickerner. „Fragen Sie mal einen eingefleischten Baukauer, der will am liebsten sein eigenes Königreich“, scherzt Hagen.
Stadtteile wollen wir zum Thema machen in den kommenden Wochen. Wir richten unseren Blick in jede einzelne Gemeinde, Woche für Woche sind wir woanders, sprechen mit Bürgern, zeigen, wo es schön ist und wo es juckt. Den Auftakt machen heute auf unserer Seite 2 die Ortsteile Unser Fritz und Crange, wobei letzterer zwar nicht der bedeutendste, aber der bekannteste ist – wegen der jährlichen Kirmes in August.
Nimmt man eine Karte aus dem Jahr 1823 zur Hand, wird deutlich, dass mit der kommunalen Wiedervereinigung 1975 zusammenwuchs, was schon immer zusammen gehörte. Die alte Karte zeigt die Bürgermeisterei Herne mit den Gemeinden Herne, Eickel, Röhlinghausen usw. einträchtig nebeneinander. Eickel groß und schon Gemeinde, Wanne daneben nicht einmal das.
Aber: Vor knapp 200 Jahren war Herne – flächenmäßig – viel größer, es gehörten auch Pöppinghausen und Bladenhorst dazu (heute Castrop-Rauxel) sowie Hiltrop, das sich später Bochum einverleibte. Zerschnitten wurde das Tuch der Gemeinsamkeit 100 Jahre vor der Hochzeit 1975, die für viele Bürger auch heute noch als Zwangsehe gilt. Im Jahr 1875 wurde das Amt Herne geteilt, in das Amt Herne mit den Gemeinden Baukau und Horsthausen, Hiltrop, Bladenhorst, Pöppinghausen, Bickern und das Amt Wanne mit Eickel, Bickern, Röhlinghausen, Crange und Holsterhausen. Die sich östlich anschließenden Gemeinden Sodingen, Börnig und Holthausen gehörten noch zum Amt Castrop im Kreis Dortmund.
1897 wurde aus dem Amt Herne eine Stadt. Durch die Industrialisierung war die Einwohnerzahl rasant gestiegen, auf rund 20 000. Bei der Eingemeindung von Baukau in das Amt Herne – Vollzug 1908 – habe es die gleichen Reflexe gegeben wie man sie auch heute noch kenne, berichtet Stadtarchivar Hagen: Die Ehefrau des damaligen Amtmannes von Baukau habe sich sogar mit ganz üblen Methoden dagegen gewehrt-- indem sie anonyme Briefe mit allerlei Gerüchten und Unterstellungen in Umlauf brachte. Der Fall landete vor Gericht. Frau de la Roche wurde wegen Beleidigung in acht Fällen zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. „Lokalpatriotin hinter Gittern“, würden die Zeitungen heute titeln. Diese kuriose historische Episode recherchierten übrigens Gertrud Frohberger und Andreas Janik von der Herner Facebookgruppe „Hün un Perdün“.
Die Wiedervereinigung 1975 sollte eine Hochzeit zweier gleichberechtigter Partner werden. Doch wie im wahren Leben, bis zur vollständigen Emanzipation ist es ein weiter Weg. Und so ist im Jahr 2014 Herne der Mann und Wanne-Eickel die Frau. Eigentlich haben sie nur geheiratet, um nicht vom großen Bruder Bochum geschluckt zu werden. Nur Außerirdische meinen, Herne sei ein Vorort von Bochum.
Martin Tochtrop
Start frei für den großen Stadtteilreport - [1]
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