Bottleships Made in Herne
Aus "Herne - unsere Stadt - Ausgabe 2 1975"[1] Mit freundlicher Genehmigung der Stadt Herne, Pressebüro und des Stadtarchivs Herne Der Originaltext dieser Seite stammt von Helmut von der Gathen und entstand 1975. Er wurde wortwörtlich aus "Herne - unsere Stadt" Ausgabe 2/1975 übernommen (sic!). Die Fotos sind von Helmut Orwat. (Mit freundlicher Genehmigung)
Wie Jonny H. Reinert Schiffe aus der Flasche zieht
Jonny H. Reinert in Herne-Horsthausen, den die Experten respektvoll den „King of the Bottleships" nennen, weil er inzwischen - einzig im weiten Umkreis - 400 historische Schiffe original- und maßstabsgetreu verkleinert in Wein- und Medizinflaschen einbaute, dieser Jonny H. Reinert steht jetzt vor einem Problem, das er allein nicht mehr lösen kann. Der 46jährige: „Ich möchte das größte Buddelschiff der Welt bauen" Woran das Vorhaben bislang scheiterte: der Schiffsmodellbauer findet keinen Glasbehälter, in dem sein hölzerner Wunschtraum, das Fünfmastvollschiff „Preußen", Platz hat. Die durchsichtige Schiffsgarage müßte nämlich etwas größer als herkömmliche Flaschen sein. „Zwei Meter hoch, ein Meter im Durchmesser, acht Zentimeter breit der Hals", erklärt Jonny Reinert und ahnt auch schon, warum diese Grösse gerade nicht im Handel ist: „Sie wöge etwa zwei Zentner."
Dennoch will der gelernte Bergmann („Ich war Lehrhauer im Bruchbau") und ehemalige Schiffsrestaurator die Suche nicht aufgeben. Er ist davon überzeugt, eines Tages einen Glasbehälter ausfindig zu machen, der ihm einen solchen gläsernen Riesen zur Verfügung stellen kann. Vielleicht ist er auch schon gefunden. Der Chef einer Glashütte im bayerischen Zwiesel ließ dem Herner andeuten, er werde alles daransetzen, die Super-Pulle herzustellen.
Reinert jedenfalls ist gerüstet. Die Schiffsbaupläne und Blaupausen liegen fix und fertig in der Schublade. „Schon morgen" könne er anfangen, beteuert der Bastler. „Und nach ungefähr sechs Monaten Bauzeit", sinniert er weiter, könne die 'Preußen' auf eine Tournee rund um den Globus geschickt werden.
Der Tüftler scheint zu wissen, was er sich zutraut. Ein ebenso ungewöhnliches wie bekanntes Bootskabinett, das vor vier Jahren gegründete Buddelschiffmuseum in Neuharlingersiel an der ostfriesischen Nordseeküste, spiegelt ein eindrucksvolles Bild seines Könnens. Alle dort gezeigten Arbeiten, wohl 500.000 Mark wert, entstammen seiner Werkstatt; sie stehen unter dem Thema „50.000 Jahre Schifffahrtsgeschichte - vom Einbaum bis zum Hochseedampfer."
Auch die weiteren 200 Modelle, die der Horsthauser während der letzten acht Jahre in zeitweiliger Tag- und Nachtarbeit auf Flaschen zog und - „leider", sagt er heute - verkaufen ließ, müssen Kennern beträchtliches Vergnügen bereiten. Denn sie griffen frohen Herzens ziemlich tief in die Tasche, um die Schiffe zu erwerben: Schauspieler und Quizmaster Kulenkampff etwa, der im Kunsthandel für sein 25-Liter Reinertmodell so zwischen zehn- und fünfzehntausend Mark berappt haben dürfte.
Der TV-Liebling hat offenbar kein schlechtes Geschäft gemacht. Ein Hamburger Sammler bot dem Buddelschiffer kürzlich 30.000 Mark für eine ähnlich gelungene Arbeit. In bar und dennoch vergebens. Reinert arbeitet nur noch für Sohn Sascha (3) und die gemeinsame Privatsammlung. Lediglich einem befreundeten Kunsthändler in Senden ist er im Wort, bis 1976 zwei Bottleships zu liefern.
Wie denn eigentlich das dicke Schiff durch den schlanken Hals in die Buddel kommt? Reinert lacht, sagt: „Das habe ich aber noch nie verraten" und erzählt es für UNSERE STADT dann doch.
Er baut jedes Modell aus bis zu 4.300 Einzelteilen erst einmal neben der Flasche auf. Damit das Schiff wieder zerlegt werden kann, verwendet er noch keinen Kleber, sondern steckt die Teile wie aus dem Edelholzbaukasten ineinander. Paßt alles, schiebt Reinert die Teilchen einzeln mit Hilfe biegsamer Drahtstangen durch den Flaschenhals, steckt sie wieder zu einem Schiff zusammen und verleimt es sauber, also unsichtbar.
Zwischen 600 und 1.400 Arbeitsstunden wurden in jedes Modell investiert. 400 Meter Takelgarn benötigte sein größtes Schiff, das 45 Zentimeter lange englische Kriegsschiff „Henry Grace a Dieu". Mit gelben Segeln ist es in einer 100-Liter-Flasche vor Anker gegangen.
Daß sich die Bemalung bei genauerem Hinsehen als gediegene Intarsienarbeit entpuppt, verwundert nicht mehr so sehr, wenn der Betrachter gleichzeitig erkennt, daß die Rahen sogar mit halben Schlägen belegt sind.
Selbst der Zweimillionenschatz der „Egypt" den die „Artiglio" in einer anderen Flasche wie ihr großes Vorbild anno 1922 hebt, ist echt. Die Goldbarren sind zerschnittete Goldringe.
Der Superliner „Titanic", der in einer Reinert-Flasche noch einmal zwischen Eisbergen aus Styropor untergeht, zeigt sogar beklemmende Einzelheiten. Auf dem Achterdeck des sinkenden Ozeanriesen spielen noch die Musiker zum Tanz auf.
Was immer Jonny Reinert bastelt, die Größe scheint keine Rolle zu spielen. Denn nur zwei Kubikzentimeter faßt die Ampulle, in der er sein kleinstes Schiff, eine originalgetreue Hansekogge, versenkt hat „Reines Nervenspiel" nennt er den Bau. Für „unmöglich" hielt ein Kunstprofessor dieses Vorhaben, als es ihm 1967 von Reinert erläutert wurde.
„Heute", schmunzelt der Flaschenschiff-König, „würde er mir sicher auch zutrauen, daß ich ein Kamel durchs Nadelöhr zwängen könnte." - Vermutlich. [3]