Studenten und Künstler könnten Wanne-Süd revitalisieren (WAZ 07.10.2014)

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Stadtteilreport WAZ 2014

Studenten und Künstler könnten Wanne-Süd revitalisieren

Wanne. Leer stehende Ladenlokale, fehlende Lebensmittel-Nahversorgung schlechte Gebäudesubstanz. Vor diesem Hintergrund will die Stadt Wanne-Süd für das Stadterneuerungsprogramm anmelden. Bei einem Spaziergang mit der WAZ machte Professor Volker Eichener Vorschläge zu Revitalisierung.

Leer stehende Ladenlokale, fehlende Lebensmittel-Nahversorgung (abgesehen von einigen Kiosken), schlechte Gebäudesubstanz. Vor diesem Hintergrund will die Stadt Wanne-Süd für das Stadterneuerungsprogramm anmelden. Die WAZ unternahm mit dem Professor Volker Eichener, der selbst im Ortsteil wohnt, einen Spaziergang über die Hauptstraße (von der Eisenbahnunterführung bis zur Kurhausstraße). Eichener schickte dabei seine Gedanken auf Wanderschaft, wie diese Erneuerung aussehen könnte.

Vor dem Blick in die Zukunft schaut Eichener in die Vergangenheit - in den 60er-Jahren hatte das Viertel durchaus Flair. Der „Stachel“ war Wannes vornehmstes Hotel, die Kammerspiele waren als Kino ein Fixpunkt - und die Jazzwanne begrüßte sogar den späteren Literaturnobelpreisträger Günther Grass. Längst passé. Heute prägen Spielhallen, Kioske, Imbissbuden, Gedönsläden das Bild. Und diverse leere Ladenlokale.

Wie kam es zu diesem Zustand? Neben dem bekannten Schrumpfungsprozess, der Alterung und der Individualisierung nennt Eichener einen Nachteil: Es fehlt ein Stadtteilkern. Die Kirchen? Liegen auf freiem Feld. Der Markt? Auf dem Steinplatz, in der zweiten Reihe. Ebenso wie das Gymnasium Eickel. „Es gibt kein Gravitationszentrum. Deshalb sind für das Gewerbe alle Standorte gleich schwach.“ Ein Beispiel für das Fehlen eines Kerns: Die Postagentur ist im letzten Ladenlokal Richtung Eickel untergebracht.

„Es gibt auch Stärken“

Eichener betont, dass der Ortsteil keineswegs tot ist, es gebe durchaus Leben. Und Stärken. Das griechische Restaurant „Bei Niko“ sei eine, die Bus- und Bahnverbindungen am Solbad eine andere. Eichener sieht Chancen für eine Revitalisierung, die brauche aber Zeit: „Stadtteile sind schwerfällig wie Tanker, sie bewegen sich sehr langsam in eine andere Richtung.“

Er hält es für möglich, dass sich Schwächen in Stärken verwandeln lassen. So müssten Hausbesitzer Abschied von zu hohen Mietvorstellungen für leer stehende Ladenlokale nehmen. Sinken sie, könnten sie irgendwann so günstig werden, dass sie für bestimmte Gewerbe attraktiv werden. Beispiele gibt es: So fertigt Anette Sakowski in einem kleinen Lokal Hochzeits-, Tauf- und andere Kerzen. Im weiteren Sinne gehört Sakowski Geschäft zur Kreativwirtschaft. Kreative gehören zu jenen, die leer stehende Immobilien als erste entdecken und mit Leben erfüllen. Laut Eichener könnte dies auch ein Modell für den Stadtteil sein. Herner Künstler könnten leer stehende Ladenlokale als Ausstellungsräume nutzen. Eichener: „Ein Kreativquartier braucht aber ein kritische Masse, bis etwas in Gang kommt.“ Die Galerie Wurm ist schon da...

Diese kritische Masse könnte nach den Vorstellungen Eicheners womöglich von den sieben Bochumer Hochschulen kommen. Der günstige Wohnraum sei geeignet für Studenten, die Verkehrsanbindung über die Straßenbahn 306 bestens. Allerdings würden Studenten gar nicht bis nach Wanne-Süd schauen. Eichener schlägt einen gemeinsamen Auftritt der privaten Wohnungsanbieter an den Hochschulen vor. Und: Den Tanker Wanne-Süd auf neuen Kurs zu bringen, sei eine Aufgabe für einen Quartiersmanager.

Auch sei ein Workshop mit verschiedenen Akteuren denkbar, die Ideen und einen Plan für den Stadtteil entwickeln. Vielleicht wäre dann auch eine Entwicklung vermieden worden, die aus Eicheners Sicht ein Fehler und eine vertane Chance ist. Statt im Solbad eine Kindertagesstätte unterzubringen, hätte Eichener dort einen Wellness-Tempel etabliert, der vielleicht sogar Strahlkraft über die Stadt hinaus gehabt hätte. „Eine Kita ist die Verschwendung eines guten Standortes, eines Gebäudes und die Ignorierung eines der Stadtgeschichte.“ Stadtentwicklung dürfe nicht Zufällen oder einer kurzfristigen Logik folgen.

Tobias Bolsmann

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