Nahtstellen, fühlbar, hier: Hauptstraße 234

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel
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Afan Halilovic, Michael Kuss, Alexander Jurewitz, Lisa Mehwald, Vanessa Schroer, Manfred Hildebrandt (Stadtarchivar), Annette Lewandowski (Amt für Denkmalschutz), Thomas Gabriel, Karl Ronka und Monika Nadolski. Die Gruppe wurde geleitet von Georg Jankowiak.
Der Originaltext/Artikel dieser Seite stammt von Gesamtschule Wanne und wurde für das Wiki redaktionell bearbeitet.
Autor Gesamtschule Wanne
Erscheinungsdatum 2010, in: Erinnerungsorte - Shoah-Denkmal, S. 30 u. 31
Gedächtnistafel Hauptstraße 234.jpg
















"Mein Vater telefonierte mit Ernst Kuzorra"

„Wie ich Ihnen wohl einmal mitgeteilt habe, war Fußball für mich alles. Wenn Preußen Wanne nicht spielte, ging ich zu Fuß die Wilhelmstraße entlang bis zum Schalker Fußballplatz. So sah ich einmal Schalke gegen eine erstklassige englische Mannschaft namens Brentford, und Schalke gewann hoch. Nicht nur die Gelsenkirchener auch die Wanne-Eickeler Zuschauer, unter denen ich auch war, waren höchst erregt. Damals war es ein Stück der Ehre.

Heute ist es ja nur, jedenfalls für uns Älteren, ein Sport. Als es schon gefährlich wurde, als „Judenjunge“ zum Sportplatz zu gehen, ich aber unbedingt Schalke spielen sehen wollte, telefonierte mein Vater mit Ernst Kuzorra. Der hatte ein Zigarrengeschäft und mein Vater kaufte bei ihm immer seine Boa-Zigarren. Mein Vater bat Kuzorra, mir eine Karte zu besorgen, was er auch tat. So konnte ich als Zuschauer dabei sein. Mein Vater riet mir, unauffällig zu sein und so hob ich auch die Hand hoch, als die Nationalhymne gespielt wurde.

Bis zum 9. November 1938 kann ich mich kaum an Verfolgungen erinnern. Nur unsere Nachbarn, das Schuhgeschäft Springer, waren unfreundlich uns gegenüber. Auch erinnere ich mich an einige SA-Leute, die vor der Tür standen. Das Geschäft meiner Eltern war aber immer voll, und die Kunden kamen einfach durch die Hintertür. Sogar am 9. November, in der Kristallnacht,[1] warnte uns ein Polizist, dass mein Vater Wanne sofort verlassen sollte. Als dann die SA oder die Polizei kam, um meinen Vater zu verhaften und ihn nicht fand, wurde meiner Mutter angedroht, dass man mich, den 14-jährigen, mitnehmen würde. Aber meine Mutter wusste ja nicht, wo mein Vater war! So wurde ich am 12. November von der Polizei verhaftet und mit einem Gefängniswagen ins Herner Gefängnis gebracht.

Zweimal bekam ich ein kleines Paketchen mit Keksen von meiner Mutter. Sie gab es im Gefängnis ab, durfte mich aber nicht sehen. Ein Wanner Polizist gab die Erlaubnis dafür. Er sagte meiner Mutter: „Sie haben so oft für mein Bier bezahlt, so kann ich ihnen hoffentlich damit helfen, ihrem Sohn etwas von der Mutter zu bringen.“ Es gab auch Leute mit Ehre. Nach meiner Entlassung riet er meiner Mutter, dass wir Kinder sofort Deutschland verlassen sollten: „Denn es wird noch viel gefährlicher.“ Das taten wir auch und gingen über die Grenze ins Ungewisse - mit ein paar Mark in den Taschen. Und so wurde ich gerettet."

Auszug aus einem Brief von Walter Nussbaum an die Projektgruppe. Der Text, den Walter Nussbaum auch in Deutsch verfasst hat, wurde orthographisch bearbeitet.



„In der Geschichte von Walter Nussbaum, seiner Verfolgung, seiner Flucht und dem Neuanfang in Israel habe ich vieles wieder erkannt, was auch zu meiner Geschichte und der meiner Familie gehört."

Afan Halilovic, Schüler, der in den 1990er Jahren mit seiner Familie aus Bosnien floh.


Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Stadt Herne

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Quellen

Erinnerungsorte - Shoah-Denkmal - Zum Gedenken an die Opfer der Shoah aus Herne und Wanne-Eickel - Eine Dokumentation von Ralf Piorr im Auftrag der Stadt Herne, Herausgeber: Stadt Herne, 2010; darin Abbildung der Gedächtnistafel Hauptstraße 234

Anmerkungen