Auf dem Stennert 9: Unterschied zwischen den Versionen
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==Das Küchengebäude für das Zwangsarbeiterlager „Ostbachtal“== | ==Das Küchengebäude für das Zwangsarbeiterlager „Ostbachtal“== | ||
''„Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen […], dass diese Forderungen nicht aus Gründen unangebrachter Sentimentalität oder Weichheit erhoben werden, sondern ausschließlich in der Absicht, eine größtmögliche Arbeitsleitung der Kriegsgefangenen zu erzielen.“''<br> | ''„Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen […], dass diese Forderungen nicht aus Gründen unangebrachter Sentimentalität oder Weichheit erhoben werden, sondern ausschließlich in der Absicht, eine größtmögliche Arbeitsleitung der Kriegsgefangenen zu erzielen.“''<br> | ||
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Diese Praktik nahm im Zweiten Weltkrieg unter der Herrschaft des NS-Regimes immense Ausmaße an. Zeitweise arbeiteten im Ruhrbergbau 150.978 deportierte Ausländer*innen. <ref>Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene.</ref> Der größte Nutznießer der ‚Fremdarbeiter‘ in Herne war die Hibernia AG. Sie brachte in ihrem Hauptlager für die Zechen Shamrock 1/2 und 3/4 in Eickel über 2000 Menschen unter. <ref>Stadt Herne: Zwangsarbeit.</ref> Generell verzichtete kaum ein Betrieb in Herne und Wanne-Eickel auf die Zwangsarbeitskräfte. Insgesamt wurden in Herne und Wanne-Eickel während des Zweiten Weltkrieges schätzungsweise 30.000 Zwangsarbeitende und Kriegsgefangene zum Arbeitseinsatz gezwungen. Hierfür entstanden im Raum Herne 76 Zwangsarbeiter- und Kriegsgefangenenlager. <ref>Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene. </ref> | Diese Praktik nahm im Zweiten Weltkrieg unter der Herrschaft des NS-Regimes immense Ausmaße an. Zeitweise arbeiteten im Ruhrbergbau 150.978 deportierte Ausländer*innen. <ref>Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene.</ref> Der größte Nutznießer der ‚Fremdarbeiter‘ in Herne war die Hibernia AG. Sie brachte in ihrem Hauptlager für die Zechen Shamrock 1/2 und 3/4 in Eickel über 2000 Menschen unter. <ref>Stadt Herne: Zwangsarbeit.</ref> Generell verzichtete kaum ein Betrieb in Herne und Wanne-Eickel auf die Zwangsarbeitskräfte. Insgesamt wurden in Herne und Wanne-Eickel während des Zweiten Weltkrieges schätzungsweise 30.000 Zwangsarbeitende und Kriegsgefangene zum Arbeitseinsatz gezwungen. Hierfür entstanden im Raum Herne 76 Zwangsarbeiter- und Kriegsgefangenenlager. <ref>Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene. </ref> | ||
Bei dem Gebäude mit der Adresse Auf dem Stennert 9 handelt es sich um den letzten baulichen Rest des Zwangsarbeiterlagers Ostbachtal. Es wurde während des Zweiten Weltkrieges in den Jahren 1940/ | Bei dem Gebäude mit der Adresse [[Auf dem Stennert]] 9 handelt es sich um den letzten baulichen Rest des Zwangsarbeiterlagers Ostbachtal. Es wurde während des Zweiten Weltkrieges in den Jahren [[1940]]/[[1941]] errichtet und bot Platz für 1056 Menschen. Das dazugehörige Küchengebäude, was als einziges Gebäude noch steht, wurde 1944 aus Ziegeln traufständig gebaut, umfasste zwei Stockwerke, ein flaches Satteldach in Eisenbetonkonstruktion und war unterkellert. <ref>Untere Denkmalbehörde der Stadt Herne (27.04.2023): Stellungnahme zur Bedeutung des Gebäudes "Auf dem Stennert 9", 44627 Herne, Gemarkung: Flur: Flurstück: Herne 20 9, i. S. d. § 35 Abs. 4 S. 1 Nrw. 4 BauGB, S. 1. Im Folgenden zitiert als: Untere Denkmalbehörde der Stadt Herne (27.04.2023): Stellungnahme.</ref> | ||
Über das Zwangsarbeiterlager Ostbachtal und seine Bewohner*innen zwischen 1940 und 1945 existieren kaum Quellen. Bekannt ist jedoch, dass die dort untergebrachten Zwangsarbeiter zur Rüstungsproduktion herangezogen wurden. Weil die Alliierten das Ruhrgebiet immer massiver bombardierten, verlegte das NS-Regime seine Waffenfertigung zunehmend unter Tage und nutzte die Strukturen der Montanindustrie vor Ort. Die in diesem Zuge eingesetzten Zwangsarbeitenden waren hochspezialisiert und somit bedeutend für die Kriegswirtschaft. <ref>Untere Denkmalbehörde der Stadt Herne (27.04.2023): Stellungnahme, S. 2.</ref> Daher gab es im Lager Ostbachtal drei umfangreiche Tiefbunker, in denen bis zu 570 Personen Schutz vor den Luftangriffen der Alliierten finden konnten. <ref>Untere Denkmalbehörde der Stadt Herne (27.04.2023): Stellungnahme, S. 2.</ref> In aller Regel blieb den ausländischen Zwangsarbeitenden der Zutritt in die – häufig von ihnen selbst errichteten – Bunker jedoch verwehrt. <ref>Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene.</ref> | Über das Zwangsarbeiterlager Ostbachtal und seine Bewohner*innen zwischen 1940 und 1945 existieren kaum Quellen. Bekannt ist jedoch, dass die dort untergebrachten Zwangsarbeiter zur Rüstungsproduktion herangezogen wurden. Weil die Alliierten das Ruhrgebiet immer massiver bombardierten, verlegte das NS-Regime seine Waffenfertigung zunehmend unter Tage und nutzte die Strukturen der Montanindustrie vor Ort. Die in diesem Zuge eingesetzten Zwangsarbeitenden waren hochspezialisiert und somit bedeutend für die Kriegswirtschaft. <ref>Untere Denkmalbehörde der Stadt Herne (27.04.2023): Stellungnahme, S. 2.</ref> Daher gab es im Lager Ostbachtal drei umfangreiche Tiefbunker, in denen bis zu 570 Personen Schutz vor den Luftangriffen der Alliierten finden konnten. <ref>Untere Denkmalbehörde der Stadt Herne (27.04.2023): Stellungnahme, S. 2.</ref> In aller Regel blieb den ausländischen Zwangsarbeitenden der Zutritt in die – häufig von ihnen selbst errichteten – Bunker jedoch verwehrt. <ref>Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene.</ref> | ||
''Wie viel Nahrung benötigt ein Zwangsarbeiter, um effektiv arbeiten zu können, ohne an Körpergewicht zuzulegen?'' Diese wirtschaftliche Fragestellung untersuchte der Dortmunder Arbeitsphysiologe Prof. Dr. Karl Kraut seit 1943 mithilfe von Ernährungsversuchen auf der Herner Zeche Friedrich der Große. <ref>Stadt Herne: Zwangsarbeit.</ref> Insbesondere polnische und sowjetrussische Gefangene bekamen zu spüren, dass sie in der NS-Rassenhierarchie auf der untersten Stufe standen. Im Lager-Alltag bestimmten Herkunft und ‚Rasse‘ die Bedingungen der Verpflegung, Unterbringung und Kleidung. <ref>Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene.</ref> Berichte von Zeitzeug*innen und Betroffenen übersteigen unsere Vorstellungskraft von dem Elend, das in den Lagern herrschte. <ref>Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene.</ref> Unter den Verschleppten befanden sich zahlreiche Frauen und Minderjährige. In einem Brief erinnert sich die damals mit 15 Jahren aus Südrussland zwangsdeportierte Tamara Serjogina an ihre Zeit in der Schachtanlage Schamrock 3/4 in Wanne-Eickel. Sie schreibt unter anderem: | ''Wie viel Nahrung benötigt ein Zwangsarbeiter, um effektiv arbeiten zu können, ohne an Körpergewicht zuzulegen?'' Diese wirtschaftliche Fragestellung untersuchte der Dortmunder Arbeitsphysiologe Prof. Dr. Karl Kraut seit 1943 mithilfe von Ernährungsversuchen auf der Herner Zeche Friedrich der Große. <ref>Stadt Herne: Zwangsarbeit.</ref> Insbesondere polnische und sowjetrussische Gefangene bekamen zu spüren, dass sie in der NS-Rassenhierarchie auf der untersten Stufe standen. Im Lager-Alltag bestimmten Herkunft und ‚Rasse‘ die Bedingungen der Verpflegung, Unterbringung und Kleidung. <ref>Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene.</ref> Berichte von Zeitzeug*innen und Betroffenen übersteigen unsere Vorstellungskraft von dem Elend, das in den Lagern herrschte. <ref>Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene.</ref> Unter den Verschleppten befanden sich zahlreiche Frauen und Minderjährige. In einem Brief erinnert sich die damals mit 15 Jahren aus Südrussland zwangsdeportierte Tamara Serjogina an ihre Zeit in der Schachtanlage Schamrock 3/4 in Wanne-Eickel. <ref>Stadt Herne: Zwangsarbeit.</ref> Sie schreibt unter anderem: | ||
''„Die Baracken waren schmutzig, und es gab sehr viele Wanzen. Wir bekamen Arbeitskleidung, und nach einem Tag wurden wir zur Arbeit getrieben. Nach der Arbeit saßen wir in den Baracken, sangen Lieder, hatten Heimweh und weinten. In der Stadt Spazierengehen wurde uns nicht erlaubt, einige versuchten zu fliehen, aber sie wurden schnell gefangen und bei der Rückkehr bestraft. Wir hatten ein Abzeichen auf der rechten Seite: OST.“'' | ''„Die Baracken waren schmutzig, und es gab sehr viele Wanzen. Wir bekamen Arbeitskleidung, und nach einem Tag wurden wir zur Arbeit getrieben. Nach der Arbeit saßen wir in den Baracken, sangen Lieder, hatten Heimweh und weinten. In der Stadt Spazierengehen wurde uns nicht erlaubt, einige versuchten zu fliehen, aber sie wurden schnell gefangen und bei der Rückkehr bestraft. Wir hatten ein Abzeichen auf der rechten Seite: OST.“'' | ||
Nach „Querelen“ wurde Tamara Serjogina zwischenzeitlich in das KZ Hattingen überführt, überlebte aber den Krieg und konnte im Oktober 1945 in ihre Heimat zurückkehren. | Nach „Querelen“ wurde Tamara Serjogina zwischenzeitlich in das KZ Hattingen überführt, überlebte aber den Krieg und konnte im Oktober 1945 in ihre Heimat zurückkehren. <ref>Stadt Herne: Zwangsarbeit.</ref> | ||
Mehr als 1700 polnische und sowjetische Zwangsarbeitende starben jedoch in Herne und Wanne-Eickel durch Unterernährung, Folter, Schwerstarbeit, Arbeitsunfälle, Verschüttungen oder Hinrichtungen. <ref>Stadt Herne: Zwangsarbeit; Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene.</ref> Spuren dieser Gewalttaten finden sich auf dem Waldfriedhof in Wanne-Eickel und dem Herner Südfriedhof an der Wiescherstraße. Dort erinnern unscheinbare Gedenktafeln und -steine an die Betroffenen. <ref> Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene.</ref> Ihre Geschichten wurden in der deutschen Öffentlichkeit und Erinnerungskultur lange Zeit ausgeblendet. Zu Kriegszeiten wurde ihre Tortur in der Herner Bevölkerung kaum hinterfragt. <ref>Stadt Herne. Zwangsarbeit.</ref> Die „Ausländer […] gehörten zum Kriegsalltag wie Lebensmittelkarten“ <ref>Stadt Herne. Zwangsarbeit.</ref> und ihre Diskriminierung wurde „ebenso als gegeben hingenommen wie die eigene bevorrechtigte Stellung ihnen gegenüber“. <ref>Stadt Herne. Zwangsarbeit.</ref> Einen Eindruck der Kaltherzigkeit gegenüber den Kriegsgefangenen und deren Einsamkeit in der Fremde vermittelt ein Gedicht des damaligen Zwangsarbeiters Stanislaw Makowski; verfasst für seinen verstorbenen Freund: <ref>Stadt Herne. Zwangsarbeit.</ref> | |||
''Er starb in Herne, im Krankenhaus, der aus der Heimat verjagte,'' | |||
''er hatte den Namen Fauzszewicz,'' | |||
''unter schrecklichen Leiden musste er armselig sterben,'' | |||
''bei seinem Ende hatte er niemanden.'' | |||
''Es kamen hierher nicht die Mutter, nicht die Schwester, nicht die Brüder,'' | |||
''um ihn zum ewigen Schlaf zu verabschieden, sondern eine Ordensschwester,'' | |||
''die in ihm unbekannten Worten sagte:'' | |||
''„Schwein Pole tot!“'' | |||
Seit den 90er Jahren bemüht sich Herne verstärkt um Aufarbeitung. 1996 benannte die Stadt eine Straße zwischen Vinckestraße, Beien-Weg, Eisenbahn und Horsthauser Straße ‚[[Juri-Gerus-Weg]]‘. Ihr Namensgeber, ein russischer Zwangsarbeiter, kam 1943 mit 16 Jahren an der Wiescherstraße ums Leben. <ref>Stadt Herne: Zwangsarbeit; Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene.</ref> Juri Gerus steht stellvertretend für das Leid aller Betroffenen. Heute wird der ehemalige Bereich des Lagers „Ostbachtal“ nahezu vollständig von dem Südfriedhof Herne bedeckt. Die drei großen Tiefbunker wurden vermutlich verschüttet (dazu gibt es keine Unterlagen). Ein | |||
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==Lesen Sie auch== | ==Lesen Sie auch== |
Version vom 2. September 2024, 19:45 Uhr
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Das Küchengebäude für das Zwangsarbeiterlager „Ostbachtal“
„Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen […], dass diese Forderungen nicht aus Gründen unangebrachter Sentimentalität oder Weichheit erhoben werden, sondern ausschließlich in der Absicht, eine größtmögliche Arbeitsleitung der Kriegsgefangenen zu erzielen.“
Mit diesem Worten rechtfertigte das zuständige Münsteraner Wehrkreiskommando im Mai 1943 seinen Appell, die Kriegsgefangenen in Herne und Wanne-Eickel angesichts bedenklich ansteigender Todesfälle adäquater zu versorgen und weniger zu misshandeln. [1] Wie überall in Deutschland war es auch im Ruhrgebiet zu Kriegszeiten gängige Praxis, Kriegsgefangene und Zwangsarbeitende aus den Ostgebieten zu verpflichten. Vor allem auf den Zechen nutzte man bereits im ersten Weltkrieg ‚Zivilarbeiter‘, wie die zwangsdeportierten Arbeitskräfte beschönigend genannt wurden.[2]
Diese Praktik nahm im Zweiten Weltkrieg unter der Herrschaft des NS-Regimes immense Ausmaße an. Zeitweise arbeiteten im Ruhrbergbau 150.978 deportierte Ausländer*innen. [3] Der größte Nutznießer der ‚Fremdarbeiter‘ in Herne war die Hibernia AG. Sie brachte in ihrem Hauptlager für die Zechen Shamrock 1/2 und 3/4 in Eickel über 2000 Menschen unter. [4] Generell verzichtete kaum ein Betrieb in Herne und Wanne-Eickel auf die Zwangsarbeitskräfte. Insgesamt wurden in Herne und Wanne-Eickel während des Zweiten Weltkrieges schätzungsweise 30.000 Zwangsarbeitende und Kriegsgefangene zum Arbeitseinsatz gezwungen. Hierfür entstanden im Raum Herne 76 Zwangsarbeiter- und Kriegsgefangenenlager. [5]
Bei dem Gebäude mit der Adresse Auf dem Stennert 9 handelt es sich um den letzten baulichen Rest des Zwangsarbeiterlagers Ostbachtal. Es wurde während des Zweiten Weltkrieges in den Jahren 1940/1941 errichtet und bot Platz für 1056 Menschen. Das dazugehörige Küchengebäude, was als einziges Gebäude noch steht, wurde 1944 aus Ziegeln traufständig gebaut, umfasste zwei Stockwerke, ein flaches Satteldach in Eisenbetonkonstruktion und war unterkellert. [6]
Über das Zwangsarbeiterlager Ostbachtal und seine Bewohner*innen zwischen 1940 und 1945 existieren kaum Quellen. Bekannt ist jedoch, dass die dort untergebrachten Zwangsarbeiter zur Rüstungsproduktion herangezogen wurden. Weil die Alliierten das Ruhrgebiet immer massiver bombardierten, verlegte das NS-Regime seine Waffenfertigung zunehmend unter Tage und nutzte die Strukturen der Montanindustrie vor Ort. Die in diesem Zuge eingesetzten Zwangsarbeitenden waren hochspezialisiert und somit bedeutend für die Kriegswirtschaft. [7] Daher gab es im Lager Ostbachtal drei umfangreiche Tiefbunker, in denen bis zu 570 Personen Schutz vor den Luftangriffen der Alliierten finden konnten. [8] In aller Regel blieb den ausländischen Zwangsarbeitenden der Zutritt in die – häufig von ihnen selbst errichteten – Bunker jedoch verwehrt. [9]
Wie viel Nahrung benötigt ein Zwangsarbeiter, um effektiv arbeiten zu können, ohne an Körpergewicht zuzulegen? Diese wirtschaftliche Fragestellung untersuchte der Dortmunder Arbeitsphysiologe Prof. Dr. Karl Kraut seit 1943 mithilfe von Ernährungsversuchen auf der Herner Zeche Friedrich der Große. [10] Insbesondere polnische und sowjetrussische Gefangene bekamen zu spüren, dass sie in der NS-Rassenhierarchie auf der untersten Stufe standen. Im Lager-Alltag bestimmten Herkunft und ‚Rasse‘ die Bedingungen der Verpflegung, Unterbringung und Kleidung. [11] Berichte von Zeitzeug*innen und Betroffenen übersteigen unsere Vorstellungskraft von dem Elend, das in den Lagern herrschte. [12] Unter den Verschleppten befanden sich zahlreiche Frauen und Minderjährige. In einem Brief erinnert sich die damals mit 15 Jahren aus Südrussland zwangsdeportierte Tamara Serjogina an ihre Zeit in der Schachtanlage Schamrock 3/4 in Wanne-Eickel. [13] Sie schreibt unter anderem:
„Die Baracken waren schmutzig, und es gab sehr viele Wanzen. Wir bekamen Arbeitskleidung, und nach einem Tag wurden wir zur Arbeit getrieben. Nach der Arbeit saßen wir in den Baracken, sangen Lieder, hatten Heimweh und weinten. In der Stadt Spazierengehen wurde uns nicht erlaubt, einige versuchten zu fliehen, aber sie wurden schnell gefangen und bei der Rückkehr bestraft. Wir hatten ein Abzeichen auf der rechten Seite: OST.“
Nach „Querelen“ wurde Tamara Serjogina zwischenzeitlich in das KZ Hattingen überführt, überlebte aber den Krieg und konnte im Oktober 1945 in ihre Heimat zurückkehren. [14]
Mehr als 1700 polnische und sowjetische Zwangsarbeitende starben jedoch in Herne und Wanne-Eickel durch Unterernährung, Folter, Schwerstarbeit, Arbeitsunfälle, Verschüttungen oder Hinrichtungen. [15] Spuren dieser Gewalttaten finden sich auf dem Waldfriedhof in Wanne-Eickel und dem Herner Südfriedhof an der Wiescherstraße. Dort erinnern unscheinbare Gedenktafeln und -steine an die Betroffenen. [16] Ihre Geschichten wurden in der deutschen Öffentlichkeit und Erinnerungskultur lange Zeit ausgeblendet. Zu Kriegszeiten wurde ihre Tortur in der Herner Bevölkerung kaum hinterfragt. [17] Die „Ausländer […] gehörten zum Kriegsalltag wie Lebensmittelkarten“ [18] und ihre Diskriminierung wurde „ebenso als gegeben hingenommen wie die eigene bevorrechtigte Stellung ihnen gegenüber“. [19] Einen Eindruck der Kaltherzigkeit gegenüber den Kriegsgefangenen und deren Einsamkeit in der Fremde vermittelt ein Gedicht des damaligen Zwangsarbeiters Stanislaw Makowski; verfasst für seinen verstorbenen Freund: [20]
Er starb in Herne, im Krankenhaus, der aus der Heimat verjagte, er hatte den Namen Fauzszewicz, unter schrecklichen Leiden musste er armselig sterben, bei seinem Ende hatte er niemanden. Es kamen hierher nicht die Mutter, nicht die Schwester, nicht die Brüder, um ihn zum ewigen Schlaf zu verabschieden, sondern eine Ordensschwester, die in ihm unbekannten Worten sagte: „Schwein Pole tot!“
Seit den 90er Jahren bemüht sich Herne verstärkt um Aufarbeitung. 1996 benannte die Stadt eine Straße zwischen Vinckestraße, Beien-Weg, Eisenbahn und Horsthauser Straße ‚Juri-Gerus-Weg‘. Ihr Namensgeber, ein russischer Zwangsarbeiter, kam 1943 mit 16 Jahren an der Wiescherstraße ums Leben. [21] Juri Gerus steht stellvertretend für das Leid aller Betroffenen. Heute wird der ehemalige Bereich des Lagers „Ostbachtal“ nahezu vollständig von dem Südfriedhof Herne bedeckt. Die drei großen Tiefbunker wurden vermutlich verschüttet (dazu gibt es keine Unterlagen). Ein
Lesen Sie auch
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- Im Ledigenheim (← Links)
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Einzelnachweise
- ↑ Stadt Herne: Zwangsarbeit in Herne und Wanne-Eickel. https://www.herne.de/Stadt-und-Leben/Stadtgeschichte/NS-Opfer/Zwangsarbeit/#:~:text=In%20ihrem%20Hauptlager%20f%C3%BCr%20die,Lebensbedingungen%20zum%20Arbeitseinsatz%20gezwungen%20wurden, letzter Zugriff am 22.08.2024. Im Folgenden zitiert als: Stadt Herne: Zwangsarbeit.
- ↑ Peters-Schildgen, Susanne (1997): Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. In Stadt Herne (Hrsg.): Auf dem Weg ins Paradies? Wanderungsbewegungen im Ruhrgebiet am Beispiel Herne, Begleitheft zur Ausstellung anlässlich des Jubiläums ‚100 Jahre Stadt Herne‘ in den Flottmann-Hallen, 1997, S. 48–50. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Stadt Herne auf der Internetseite: Herne von damals bis heute. Digitales Geschichtsbuch für Herne und Wanne-Eickel. https://herne-damals-heute.de/migrationsgeschichte/auf-dem-weg-ins-paradies-wanderungsbewegungen-im-ruhrgebiet-am-beispiel-herne/zwangsmigration/kriegsgefangene-und-zwangsarbeiter/, letzter Zugriff am 22.08.2024. Im Folgenden zitiert als: Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene.
- ↑ Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene.
- ↑ Stadt Herne: Zwangsarbeit.
- ↑ Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene.
- ↑ Untere Denkmalbehörde der Stadt Herne (27.04.2023): Stellungnahme zur Bedeutung des Gebäudes "Auf dem Stennert 9", 44627 Herne, Gemarkung: Flur: Flurstück: Herne 20 9, i. S. d. § 35 Abs. 4 S. 1 Nrw. 4 BauGB, S. 1. Im Folgenden zitiert als: Untere Denkmalbehörde der Stadt Herne (27.04.2023): Stellungnahme.
- ↑ Untere Denkmalbehörde der Stadt Herne (27.04.2023): Stellungnahme, S. 2.
- ↑ Untere Denkmalbehörde der Stadt Herne (27.04.2023): Stellungnahme, S. 2.
- ↑ Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene.
- ↑ Stadt Herne: Zwangsarbeit.
- ↑ Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene.
- ↑ Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene.
- ↑ Stadt Herne: Zwangsarbeit.
- ↑ Stadt Herne: Zwangsarbeit.
- ↑ Stadt Herne: Zwangsarbeit; Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene.
- ↑ Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene.
- ↑ Stadt Herne. Zwangsarbeit.
- ↑ Stadt Herne. Zwangsarbeit.
- ↑ Stadt Herne. Zwangsarbeit.
- ↑ Stadt Herne. Zwangsarbeit.
- ↑ Stadt Herne: Zwangsarbeit; Peters-Schildgen (1997): Kriegsgefangene.