Den Fuffi in der Milchkanne: Unterschied zwischen den Versionen

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Milchholen gehörte zu meinen tagtäglichen Hausaufgaben.
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Milchholen gehörte zu meinen tagtäglichen Hausaufgaben. Meist nur widerwillig trat ich daher oft die Einkaufstour umme Ecke an, denn der „Milchbauer“ Michaelis hatte seinen kleinen Laden an der Ecke [[Mont-Cenis-Straße|Mont-Cenis-]]/[[Hermann-Löns-Straße]]. Auch an diesem nasskalten Februarnachmittag mahnte Mutter: „Denk an die Milch, sonst gibt es heute nichts zum Abendbrot“. Diese Drohung wirkte sofort, denn als Heranwachsender hatte ich eigentlich immer Kohldampf.  
Meist nur widerwillig trat ich daher oft die Einkaufstour umme Ecke an, denn der „Milchbauer“ Michaelis hatte seinen kleinen Laden an der Ecke [[Mont-Cenis-Straße|Mont-Cenis-]]/[[Hermann-Löns-Straße]]. Auch an diesem nasskalten Februarnachmittag mahnte Mutter: „Denk an die Milch, sonst gibt es heute nichts zum Abendbrot“. Diese Drohung wirkte sofort, denn als Heranwachsender hatte ich eigentlich immer Kohldampf.  


Als ich in der warmen Küche nach der Milchkanne griff, rief draußen vor dem Küchenfenster jemand meinen Namen. Ich kannte die Stimme sofort: Es war mein Schulkollege Reinhold, der nur ein paar Häuser weiter wohnte. Mit Reinhold befreundet zu sein, war schon etwas besonderes, denn der schmächtige Junge mit der dunkelgrünen Lederhose galt als Feingeist und Künstler. Mehrfach in der Woche machte er sich nämlich mit einem riesigen Akkordeon, das er auf seinem Spezialkarren transportierte, auf den Weg zum Musikunterricht. Daher fand er kaum Zeit, mit unserer Straßenbande die Gärten und Hinterhöfe im Karree des alten Dichterviertels unsicher zu machen.  
Als ich in der warmen Küche nach der Milchkanne griff, rief draußen vor dem Küchenfenster jemand meinen Namen. Ich kannte die Stimme sofort: Es war mein Schulkollege Reinhold, der nur ein paar Häuser weiter wohnte. Mit Reinhold befreundet zu sein, war schon etwas besonderes, denn der schmächtige Junge mit der dunkelgrünen Lederhose galt als Feingeist und Künstler. Mehrfach in der Woche machte er sich nämlich mit einem riesigen Akkordeon, das er auf seinem Spezialkarren transportierte, auf den Weg zum Musikunterricht. Daher fand er kaum Zeit, mit unserer Straßenbande die Gärten und Hinterhöfe im Karree des alten Dichterviertels unsicher zu machen.  

Aktuelle Version vom 18. Februar 2018, 13:47 Uhr

Milchholen gehörte zu meinen tagtäglichen Hausaufgaben.

Friedhelm Wessel [1]

Meist nur widerwillig trat ich daher oft die Einkaufstour umme Ecke an, denn der „Milchbauer“ Michaelis hatte seinen kleinen Laden an der Ecke Mont-Cenis-/Hermann-Löns-Straße. Auch an diesem nasskalten Februarnachmittag mahnte Mutter: „Denk an die Milch, sonst gibt es heute nichts zum Abendbrot“. Diese Drohung wirkte sofort, denn als Heranwachsender hatte ich eigentlich immer Kohldampf.

Als ich in der warmen Küche nach der Milchkanne griff, rief draußen vor dem Küchenfenster jemand meinen Namen. Ich kannte die Stimme sofort: Es war mein Schulkollege Reinhold, der nur ein paar Häuser weiter wohnte. Mit Reinhold befreundet zu sein, war schon etwas besonderes, denn der schmächtige Junge mit der dunkelgrünen Lederhose galt als Feingeist und Künstler. Mehrfach in der Woche machte er sich nämlich mit einem riesigen Akkordeon, das er auf seinem Spezialkarren transportierte, auf den Weg zum Musikunterricht. Daher fand er kaum Zeit, mit unserer Straßenbande die Gärten und Hinterhöfe im Karree des alten Dichterviertels unsicher zu machen.

Dieser Reinhold stand nun draußen und wollte vermutlich trotz des schlechten Wetters um die Häuser ziehen. „Hast du Zeit“, fragte er, als sich aus der Haustüre trat. „Na, klar, muss nur Milch holen. Komm doch einfach mit...“

Reinhold zog ein neues „Sigurdheft“ aus der rechten Tasche seiner Lederhose, er reichte es mir. „Tolle Abenteuer, Sigurd mit seinem Schwert...“ Ich wollte nach dem Heft greifen, wusste aber nicht wie, denn in der linken Hand trug ich die Milchkanne, mit rechten Hand umklatterte ich den „Fuffi“, das Milchgeld. „Zeich ma,“ anwortete ich und ließ das Geldstück achtlos in die Kanne fallen.

Unterwegs schauten wir abwechselnd in das Comicheft und begannen mit imaginären Schwertkämpfen und plauderten dann über den neusten Fuzzy-Film, der in der „Gloria“ auf der Bahnhofstraße lief. Inzwischen hatten wir den Milchladen Michaelis erreicht. Frau Michalelis, die Chefin, die wie immer einen blitzsauberen, weißen Kittel trug, lächelte. „Heute mit Verstärkung“, fragte sie und schaute meinen Schulkollegen an, den sie wohl nicht kannte, denn bei Reinhold, dessen Vater ein selbstständiger Schneidermeister war, gab es abends, so erzählte er mir einmal, im Gegensatz zu uns, Brote mit Wurst und Käse.

Wortlos reichte ich Frau Michaelis die Kanne, die sie unter der Zapfanlage drapierte, schnell schoss das weiße Nass hinein. Reinhold sah sich um, schob das Sigurd-Heft in die Hosentasche und wollte den weißgekachelten Raum, in dem es so herrlich nach Butter und Quark roch, verlassen. Ich griff mit der linken Hand nach der Kanne, die rechte versank in der Hosentasche, wo der Fuffi üblicherweise steckte. Doch er war nicht zu finden. Frau Michaelis starrte mich an, verzog aber keine Miene. Reinhold griente auf einmal und zeigte auf die Kanne. „Ich glaube, du hast das Geld in die Kanne geworfen...“

Entgeistert blickte ich zunächst Reinhold, dann die Milchhändlerin an, die nun demonstrativ die Hände vor der bekittelten Brust verschränkte. „Und nun“, setzte die Herrin der Milch nach. Ich stellte die Kanne auf die Theke, rieb meine rechte Hand an der abgewetzten Lederhose ab und griff beherzt in die Kanne. Nach wenigen Sekunden hatte ich das Geldstück ertastet, dass ich nun lächelnd und tropfnass auf die Theke legte. Mit einem Kopfschütteln griff Frau Michaelis den Fuffi, zog die Kanne nochmals heran, denn, als ich die an diesem Tag nicht ganz saubere Hand in die Milch tauchte, schwappte bedingt durch das zusätzliche Volumen, einige Kubikzentimeter Flüssigkeit aus dem Behälter. Es fehlte ein guter Schluck und das hätte Mutter sicherlich gemerkt.

„Diese Bengels,“ hörte ich Frau Michaelis noch sagen, als Reinhold und ich schließlich mit einer gutgefüllten Kanne den Verkaufsraum verließen. Auf dem kurzen Weg zurück zur Goethestraße erzählte Reinhold erneut Geschichten von Sigurd und Akim, die Helden unserer Kindheit. Ich konnte da nicht mithalten, denn Comichefte zu lesen, war in unserer Familie verpönt. Es war außerdem mein letzter Milchholtag, dann ab nun übernahm mein jüngerer Bruder Walter diese Aufgabe, dafür war ich nun für das Kohleholen aus dem Keller verantwortlich. [2]


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Einzelnachweise

  1. Dieser Text wurde von Friedhelm Wessel zur Verfügung gestellt. Der Text darf nicht ohne Genehmigung verändert oder weitergegeben werden.
  2. Ein Artikel von Friedhelm Wessel