Beleidigung Anno 1899: Unterschied zwischen den Versionen
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In der heutigen Sitzung der Ferienstrafkammer des hiesigen Landgerichts hatte sich der Fuhrmann [[Ludwig Bösser]] aus Herne wegen Beleidigung des dortigen Amtsrichters Saracin zu verantworten. Bösser war im Jahre 1896 zur Zahlung des ortsstatutarischen Beitrags für die Herstellung der Kanalisation aufgefordert worden. Seiner Ansicht nach geschah dies zu Unrecht, da das Bössersche Grundstück<ref>Höfestraße 1, = [[Altenhöfener Straße]].</ref> damals noch nicht an den Kanal angeschlossen gewesen sei. Bösser hat jedoch unterlassen, rechtzeitig gegen die Rechnung Beschwerde einzulegen. Schließlich wurde der Betrag zwangsweise durch den Verkauf eines Pferdes eingetrieben. <br> | In der heutigen Sitzung der Ferienstrafkammer des hiesigen Landgerichts hatte sich der Fuhrmann [[Ludwig Bösser]] aus Herne wegen Beleidigung des dortigen Amtsrichters Saracin zu verantworten. Bösser war im Jahre 1896 zur Zahlung des ortsstatutarischen Beitrags für die Herstellung der Kanalisation aufgefordert worden. Seiner Ansicht nach geschah dies zu Unrecht, da das Bössersche Grundstück<ref>Höfestraße 1, = [[Altenhöfener Straße]].</ref> damals noch nicht an den Kanal angeschlossen gewesen sei. Bösser hat jedoch unterlassen, rechtzeitig gegen die Rechnung Beschwerde einzulegen. Schließlich wurde der Betrag zwangsweise durch den Verkauf eines Pferdes eingetrieben. <br> | ||
Bösser strengte gegen die Stadt Herne eine Schadenersatzklage an, die jedoch zu seinen Ungunsten entschieden wurde. In gleicher Weise wurde auch seitens der übrigen Instanzen erkannt. In der Urteilsbegründung des Herner Amtsgerichts war nun unter anderem ausgeführt, das ganze Verhalten des Klägers könne nur als ein „durchaus arglistisches und chikanöses" bezeichnet werden. Bösser war von dieser Wendung erklärlicherweise wenig erbaut. Er richtete an den Amtsrichter ein Schreiben, in welchem er innerhalb acht Tagen weitere Aufklärung darüber verlangte. Auch ein Amtsrichter habe nicht das Recht, unbescholtene Staatsbürger zu beleidigen und ihnen Verdächtigungen zu unterschieben. Wenn er (Bösser) bis zu der angegebenen Frist keine Antwort habe, werde er sich an den Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm wenden. Bösser hat diesen Vorsatz auch ausgeführt. Der betreffende Brief enthielt jedoch Wendungen, die zu einer Anklage wegen Beleidigung des Amtsrichters die Handhabe boten. Es hieß in dem Schreiben, er, der Angeklagte müsse annehmen, daß die Urteile in Herne in Gesellschaften und Visiten, wie sie nur die vornehmen Leute geben, fertiggestellt würden. Es komme dabei das Sprüchwort: „Eine Krähe hackt der anderen die Augen aus!“ Für eine solche Behandlung danke er und er bitte das Oberlandesgericht, dem Herrn Amtsrichter Saracin die Anweisung zu geben, daß im deutschen Vaterlande die Bürgerschaft nicht nach dem Stand, sondern nach Recht und Gerechtigkeit behandelt werde.“ <br> | Bösser strengte gegen die Stadt Herne eine Schadenersatzklage an, die jedoch zu seinen Ungunsten entschieden wurde. In gleicher Weise wurde auch seitens der übrigen Instanzen erkannt. In der Urteilsbegründung des Herner Amtsgerichts war nun unter anderem ausgeführt, das ganze Verhalten des Klägers könne nur als ein „durchaus arglistisches und chikanöses" bezeichnet werden. Bösser war von dieser Wendung erklärlicherweise wenig erbaut. Er richtete an den Amtsrichter ein Schreiben, in welchem er innerhalb acht Tagen weitere Aufklärung darüber verlangte. Auch ein Amtsrichter habe nicht das Recht, unbescholtene Staatsbürger zu beleidigen und ihnen Verdächtigungen zu unterschieben. Wenn er (Bösser) bis zu der angegebenen Frist keine Antwort habe, werde er sich an den Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm wenden. Bösser hat diesen Vorsatz auch ausgeführt. Der betreffende Brief enthielt jedoch Wendungen, die zu einer Anklage wegen Beleidigung des Amtsrichters die Handhabe boten. Es hieß in dem Schreiben, er, der Angeklagte müsse annehmen, daß die Urteile in Herne in Gesellschaften und Visiten, wie sie nur die vornehmen Leute geben, fertiggestellt würden. Es komme dabei das Sprüchwort: „Eine Krähe hackt der anderen die Augen aus!“ Für eine solche Behandlung danke er und er bitte das Oberlandesgericht, dem Herrn Amtsrichter Saracin<ref>Ferdinand <small>Anton</small> Sarrazin (1864-1936) Amtsgerichtsrat. Richter in Herne, Minden und Bad Oeynhausen. Wohnte in Herne im Hause Bochumer Straße 54. vgl.: [http://www.westfälische-biographien.de/biographien/person/521/print/# westfälische-biographien.de]</ref> die Anweisung zu geben, daß im deutschen Vaterlande die Bürgerschaft nicht nach dem Stand, sondern nach Recht und Gerechtigkeit behandelt werde.“ <br> | ||
Auf Grund dieser Ausführungen mußte der Angeklagte verurteilt werden. Der Gerichtshof erkannte auf eine Geldstrafe von 30 Mark. Der Staatsanwalt hatte 50 Mark beantragt. In der Urteilsbegründung wurde ausgeführt, der Angeklagte sei der Meinung gewesen, daß ihm Unrecht geschehen sei. Er habe sich durch eine scharfe Wendung in dem Urteil beleidigt gefühlt und es müsse anerkannt werden, daß diese Wendung in dem ersten Urteil auch den Angeklagten zu verletzen geeignet gewesen sei. Wie der Vorsitzende mitteilt, ist der Amtsrichter auch darauf aufmerksam gemacht worden, solche Ausdrücke und Wendungen in einem Urteil nur mit größter Vorsicht zu gebrauchen. Den Strafantrag hatte der Präsident des hiesigen Landgerichts gestellt.“ | Auf Grund dieser Ausführungen mußte der Angeklagte verurteilt werden. Der Gerichtshof erkannte auf eine Geldstrafe von 30 Mark. Der Staatsanwalt hatte 50 Mark beantragt. In der Urteilsbegründung wurde ausgeführt, der Angeklagte sei der Meinung gewesen, daß ihm Unrecht geschehen sei. Er habe sich durch eine scharfe Wendung in dem Urteil beleidigt gefühlt und es müsse anerkannt werden, daß diese Wendung in dem ersten Urteil auch den Angeklagten zu verletzen geeignet gewesen sei. Wie der Vorsitzende mitteilt, ist der Amtsrichter auch darauf aufmerksam gemacht worden, solche Ausdrücke und Wendungen in einem Urteil nur mit größter Vorsicht zu gebrauchen. Den Strafantrag hatte der Präsident des hiesigen Landgerichts gestellt.“ | ||
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Aktuelle Version vom 13. Februar 2023, 15:52 Uhr
Der Generalanzeiger für Dortmund[1] veröffentlichte am 2. September 1899 einen Artikel über ein Beleidigungsprozess in der Herner Oberschicht an. Zustände Anno domini:
"Herne, 1. Sept. 1899
(Die Beleidigung eines Richters.)
In der heutigen Sitzung der Ferienstrafkammer des hiesigen Landgerichts hatte sich der Fuhrmann Ludwig Bösser aus Herne wegen Beleidigung des dortigen Amtsrichters Saracin zu verantworten. Bösser war im Jahre 1896 zur Zahlung des ortsstatutarischen Beitrags für die Herstellung der Kanalisation aufgefordert worden. Seiner Ansicht nach geschah dies zu Unrecht, da das Bössersche Grundstück[2] damals noch nicht an den Kanal angeschlossen gewesen sei. Bösser hat jedoch unterlassen, rechtzeitig gegen die Rechnung Beschwerde einzulegen. Schließlich wurde der Betrag zwangsweise durch den Verkauf eines Pferdes eingetrieben.
Bösser strengte gegen die Stadt Herne eine Schadenersatzklage an, die jedoch zu seinen Ungunsten entschieden wurde. In gleicher Weise wurde auch seitens der übrigen Instanzen erkannt. In der Urteilsbegründung des Herner Amtsgerichts war nun unter anderem ausgeführt, das ganze Verhalten des Klägers könne nur als ein „durchaus arglistisches und chikanöses" bezeichnet werden. Bösser war von dieser Wendung erklärlicherweise wenig erbaut. Er richtete an den Amtsrichter ein Schreiben, in welchem er innerhalb acht Tagen weitere Aufklärung darüber verlangte. Auch ein Amtsrichter habe nicht das Recht, unbescholtene Staatsbürger zu beleidigen und ihnen Verdächtigungen zu unterschieben. Wenn er (Bösser) bis zu der angegebenen Frist keine Antwort habe, werde er sich an den Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm wenden. Bösser hat diesen Vorsatz auch ausgeführt. Der betreffende Brief enthielt jedoch Wendungen, die zu einer Anklage wegen Beleidigung des Amtsrichters die Handhabe boten. Es hieß in dem Schreiben, er, der Angeklagte müsse annehmen, daß die Urteile in Herne in Gesellschaften und Visiten, wie sie nur die vornehmen Leute geben, fertiggestellt würden. Es komme dabei das Sprüchwort: „Eine Krähe hackt der anderen die Augen aus!“ Für eine solche Behandlung danke er und er bitte das Oberlandesgericht, dem Herrn Amtsrichter Saracin[3] die Anweisung zu geben, daß im deutschen Vaterlande die Bürgerschaft nicht nach dem Stand, sondern nach Recht und Gerechtigkeit behandelt werde.“
Auf Grund dieser Ausführungen mußte der Angeklagte verurteilt werden. Der Gerichtshof erkannte auf eine Geldstrafe von 30 Mark. Der Staatsanwalt hatte 50 Mark beantragt. In der Urteilsbegründung wurde ausgeführt, der Angeklagte sei der Meinung gewesen, daß ihm Unrecht geschehen sei. Er habe sich durch eine scharfe Wendung in dem Urteil beleidigt gefühlt und es müsse anerkannt werden, daß diese Wendung in dem ersten Urteil auch den Angeklagten zu verletzen geeignet gewesen sei. Wie der Vorsitzende mitteilt, ist der Amtsrichter auch darauf aufmerksam gemacht worden, solche Ausdrücke und Wendungen in einem Urteil nur mit größter Vorsicht zu gebrauchen. Den Strafantrag hatte der Präsident des hiesigen Landgerichts gestellt.“
"Herne, 2. Sept.(Wegen Beleidigung des Amtsrichters Saracin) wurde der Fuhrunternehmer Ludwig Bösser zu 30 Mk. Geldstrafe verurteilt."
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Quellen
- ↑ General-Anzeiger für Dortmund und die Provinz Westfalen 12 (2.9.1899) 240. Online auf Zeitpunkt.nrw
- ↑ Höfestraße 1, = Altenhöfener Straße.
- ↑ Ferdinand Anton Sarrazin (1864-1936) Amtsgerichtsrat. Richter in Herne, Minden und Bad Oeynhausen. Wohnte in Herne im Hause Bochumer Straße 54. vgl.: westfälische-biographien.de