Der Rhein-Herne-Kanal und der antifaschistische Widerstand in der Zeit des Nationalsozialismus

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Der Rhein-Herne-Kanal, als wichtige Verkehrsader mit Anschluss an den Binnenhafen in Duisburg und dem Überseehafen in Emden, erlangte mit der Machtübertragung auf die Faschisten zunehmende Bedeutung für den antifaschistischen Widerstand innerhalb des Ruhrgebiets und in Europa.

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von Norbert Arndt

Der Stichkanal und Kohlehafen der Zeche Friedrich-der-Große I/II in Horsthausen. Im Bild die Schachtanlage und die Häuser an der Kanalstraße. Die Wohnquartiere in unmittelbarer Nähe zur Zeche und zum Hafen waren vor 1933 eine Hochburg der KPD. [1]

Insbesondere der mit vielfältigen Gefahren verbundene illegale Transport von Zeitungen und Literatur sowie die geheime Ein- und Ausschleusung von Verfolgten und aktiven Nazi-Gegnern machte die Nutzung der nur schwer kontrollierbaren Wasserwege unentbehrlich. Wanne-Eickel erlangte zeitweise eine zentrale Bedeutung für die Versorgung des engeren Ruhrgebiets mit antifaschistischen Kampfschriften. Es dürfte wohl keinen Kommunistenprozess der Jahre 1933 bis 1935 gegeben haben, in dem nicht die Herstellung oder Weitergabe solcher illegaler Schriften eine zentrale Rolle gespielt hat. Praktisch machte die Verbreitung solcher Schriften neben der Kassierung von Beiträgen überhaupt erst den Inhalt der kommunistischen Untergrundorganisation aus.

Im Juli 1933 war in Paris das „Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror“ zusammengestellt worden. Es wurde in hoher Auflage unter Deck versteckt auch in den Kanaldampfern ins Reich eingeschmuggelt. Im Braunbuch wurden nicht nur die Nazis als Brandstifter angeklagt, sondern auch eine bedrückende Dokumentation der faschistischen Machtergreifung, ihrer Hintermänner aus dem Großkapital, der Verhaftung und Folterungen, des Antisemitismus und der Verfolgung demokratischer Kulturschaffender gegeben. Gleichzeitig informierten Berichte und Dokumente über den antifaschistischen Widerstandskampf, der trotz des Terrors weiterging.

Anfang September 1933 gelang in Herne – nach einer größeren Verhaftungswelle – der Aufbau einer neuen KPD-Organisation mit mehreren Hundert Mitgliedern. Diese Herner Organisation verfügte durch einen Recklinghäuser Genossen, der nach Herne verzogen war, über Kontakte nach Recklinghausen-Mitte, Hochlarmark, Recklinghausen-Süd und Suderwich. Treffpunkt zwischen den Ortsleitungen Recklinghausen und Herne war die Brücke an der Werderstraße, die in Herne-Horsthausen, nahe der Zeche Friedrich der Große I/II über den Stichkanal führte. Mitte Oktober 1933 wurde diese KPD-Organisation durch den Zugriff der Gestapo fast völlig zerschlagen.

Seit 1928 bestand auf holländischem Gebiet ein kleiner Grenzapparat, um die heimliche Ein- und Ausreise von Funktionären auch auf dem Wasserweg gewährleisten zu können. Bis 1933 hatte der Aufbau von Stützpunkten jenseits der westlichen Reichsgrenze allerdings zunächst untergeordnete Bedeutung. In Erwartung eines Parteiverbots beschloss die Essener Konferenz der westeuropäischen KPs Anfang 1933 die Ausweitung der Grenzarbeit. Daher konnte die KPD zusammen mit der holländischen KP schon im März 1933 die Grenzstellen ausbauen. Die Grenzstelle in Amsterdam betreute Emigranten, unterstützte den Transport illegaler Literatur über die Grenze zu Wasser und auf dem Landweg und beriet die Funktionäre anliegender Bezirke. Anfang 1934 verfügte Grenzstelle Amsterdam über einen Apparat, der in mehreren Grenzorten Verbindungsstellen ins Reich besaß, so in Enschede, Winterswijk, Arnhem, Nijmwegen, Heerlen und Vaals.

Zeitungen und Broschüren wurden mit Hilfe sogenannter Grenztechniker über Enschede oder Heerlen und den Rotterdamer Hafen rheinaufwärts in das Deutsche Reich geschleust. Nach der Verhaftung der letzten Inlandsleitung im März 1935 übernahmen die Grenzstellen vollständig die regionale Anleitung der illegalen Arbeit im Revier. Für den Bereich Ruhr und Niederrhein war die Abschnittsleitung West in Amsterdam zuständig.

Wanne-Eickel Westhafen mit Brückenkränen, um 1950 (Postkarte) [1]

In Enschede wurden die Instrukteure und Kuriere für das Ruhrgebiet durch die Verantwortlichen der Grenzstellen angeleitet, die ihren Übergang über die Grenze und das Einschleusen antifaschistischer Literatur bei Gronau, in der Nähe von Bocholt und in Heerlen durchführten. Die Grenztechniker hatten neben der Organisation des Literaturtransports die spezielle Aufgabe der Abwehr von Gestapospitzeln. So wirkte als Grenztechniker in Heerlen in den Jahren 1935/1936 auch Willi Gusek, ein untergetauchter Bergmann aus Wanne-Eickel.

Wanne-Eickel erlangte zeitweise eine zentrale Bedeutung für die Versorgung des mittleren Ruhrgebiets mit antifaschistischen Kampfschriften. Die Materialien kamen durch den Rheinschiffer Alfred Hartmann, Emil Zier und die Brüder Otto und Paul Koke nach Wanne-Eickel, wo Heinrich Mutmann die Pakete übernahm und durch einen gut organisierten Verteilerapparat im Raum Gelsenkirchen, Recklinghausen, Herne und Bochum weitergab. In der Zeit von 1934 bis 1936 konnte allein der Matrose Jupp Koke, der direkt am Kanalhafen in Wanne-Eickel wohnte,bei der Harpener Bergbau AG beschäftigt war und mit Willi Gusek in Kontakt stand, mehrfach von seinen Schiffsreisen aus Holland illegale Zeitungen und Flugblätter mitbringen. Die Pakete waren im Innern des Schiffes, im Kohlebunker versteckt.

Mit dem Überfall auf Holland gerieten viele deutsche Antifaschisten, darunter auch die in Heerlen tätig gewesenen Hitlergegner in die Hände der Gestapo. Wilhelm Gusek erhielt am 25. Februar 1941 vom Oberlandesgericht Hamm sieben Jahre Zuchthaus. Gusek wurde nach einer Odyssee durch verschiedene Zuchthäuser und Konzentrationslager am 13. März 1944, im Alter von 39 Jahren, im Konzentratrionslager Mauthausen von den Faschisten ermordet. Sein Genosse Jupp Koke war zuvor, in einem Massenprozess mit 55 Angeklagten, am 26. April 1937 vom OLG Hamm zu 6 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Der Binnenschiffer „verstarb“, 33jährig am 23. Februar 1944 im Konzentrationslager Sachsenhausen.

Ehemalige Kanalbrücke über den Stichkanal an der Werderstraße [1]

April 1945: Der Kanal bildete die Frontlinie

Der Bergmann Wilhelm Gusek und der Matrose Josef Koke aus Wanne-Eickel stehen stellvertretend für viele Antifaschisten aus der Arbeiterbewegung, die trotz der Gefahr für Gesundheit und Leben aktiven Widerstand leisteten, denen es aber nicht vergönnt war den Tag der Befreiung zu erleben. Die Befreiung kam letztlich von außen durch die alliierten Armeen der Anti-Hitler-Koalition.

Nachdem das Ruhrgebiet im Laufe des März 1945 von amerikanischen und britischen Truppen eingekesselt worden war, drangen US-Einheiten am 31. März durch die Haardt zum Nordrand Recklinghausens vor. Am 1. April besetzten sie die Stadt und überschritten die Emscher, so dass sich am 2. April bereits die Wanne-Eickeler Siedlung Im Dannekamp und ein kleiner Teil des Herner Stadtgebiets in amerikanischer Hand befanden.

Der Rhein-Herne-Kanal bildete nun die Frontlinie. In der Nacht vom 31. März zum 1. April hatte man von deutscher Seite noch alle Brücken über die Emscher und den Kanal gesprengt. Darunter die Eisenbahnbrücke der Strecke Wanne-Münster, die Brücke an der Bahnhofstraße, die Brücke im Verlauf der Pöppinghauser Straße und die Brücke an der Hertener Straße. Am nächsten Morgen verfuhr man mit den im Kanal liegenden Schiffen ebenso. In den ersten Apriltagen stabilisierten die amerikanische Truppen am Nordrand des Rhein-Herne-Kanals die Frontlinie und brachten zunächst schwere Batterien gegen die noch feuernden deutschen Geschütze in Stellung, bevor sie die Überquerung des Kanals schließlich in Angriff nahmen. Am 7. April 1945 überschritt die US-Armee in breiter Front den Rhein-Herne-Kanal. Am 8. April brachen sie in Wanne-Eickel durch. [2]

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Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Aus der Sammlung der DGB Geschichtswerkstatt
  2. Ein Artikel von Norbert Arndt