Wie entsteht ein Kirchenfenster - Schug 2019
Mit ganzer Liebe widmete sich Gerd E. Schug der Erforschung der Glaskunst. Besonders die von Jupp Gesing. Seine leidenschaftliche, mit wunderbaren Anekdoten angereicherten Vorträge zu diesem Thema werden für alle Zuhörer und Zuschauer in Erinnerung bleiben. Zuletzt konnte er noch eines der Herner Frühwerke der Glaskunst Jupp Gesings erklären, die Chorfenster von Herz Jesu. Der nachfolgende Artikel aus dem Boten bringt nur ansatzweise Gerds Schugs Begeisterung über, aber lesen Sie selber:
Wie entsteht ein Kirchenfenster?
Nach einem Vortrag
Von Gerd E. Schug 2019 [1]
In diesem Artikel möchte ich versuchen, die Entstehung eines Kirchenfensters zu schildern.
Dazu ist zunächst ein kleiner Rückblick auf die Baukunst der Kirchen erforderlich. Als die ersten Christen für ihre Versammlungen Gebäude errichteten, griffen sie auf die einzige, damals bekannte Bauweise zurück: Die römische Baukunst, heute »Romanik« genannt. Dies waren Versammlungsräume mit dicken Mauern und kleinen Rundbogenfenstern. Diese Bauweise kannte keine großen Fenster. Die ersten christlichen Kirchen im romanischem Baustil haben auch in Deutschland, z.T. bis heute »überlebt«. In unserer unmittelbaren Nähe, in Essen Stoppenberg, steht so ein klassisches Beispiel der Romanik. Es ist die fast 1000 Jahre alte Karmel-Klosterkirche. In der Eifel, in Pesch, Nähe Nettersheim, gibt es die ältesten Fundamente einer romanischen Basilika, aus dem 3. / 4. Jahrhundert, in Deutschland.
Ein sehr schönes Beispiel einer romanischen Kirche aus dem 12. Jh., möchte ich hier vorstellen. Es ist dies die romanische Backstein-Dorfkirche von Melkow, im Jerichower Land, nördlich von Magdeburg. Prämonstratenser aus dem Kloster Jerichow (= schönstes Bauwerk der Backstein-Romanik in Norddeutschland) bauten, im Zuge der Christianisierung der Slawen, in den Dörfern Kirchen. Einige diese Kirchen haben sich seit 800 Jahren unverändert erhalten, weil die kleinen Dörfer nie Geld für Umbauten im »Zeit Geist« (Gotisierung, Barockisierung, etc.) hatten. Heute sind diese Dorfkirchen ein großartiges Kulturerbe für die »Romanik«!
Persönliche Zwischenbemerkung: Die romanische Backstein Dorfkirche in Melkow — von mir eine »Burg Gottes« genannt — ist meine absolute Lieblingsskirche!
Erst im 12. Jahrhundert kam in Frankreich ein neuer Baustil auf: Die Gotik. Mit diesem neuen Baustil war es möglich, sehr große hohe Fenster zu bauen. Ziel war es »Licht und Höhe« in den Raum zu bringen, als Zeichen des »himmlischen Jerusalem«. Nun hatte man große Fenster und die sollten dann auch »bunt« sein.
So entstanden mehr und mehr farbige Glasfenster mit biblischen Motiven und zur Heiligenverehrung. Die ersten gotischen Kirchen in Deutschland entstanden in Marburg und in Trier. Dazu möchte ich gerne eine kleine Anekdote als Zwischenbemerkung einfügen.
In Marburg wollte man im 13. Jahrhundert eine neue große Kirche bauen, da durch die Heiligenverehrung der Elisabeth von Thüringen die alte romanische Kirche viel zu klein war. Die Heiligenverehrung war damals das größte und einträglichste Geschäft für die Kirche. Die Pilger spendeten fleißig Geld zur Vergebung der Sünden. Man hatte also in Marburg viel Geld, aber keinen Bauplan.
Da zu dieser Zeit in Trier eine große gotische Kirche im Bau war, erbat man sich von dort die Baupläne, was auch gewährt wurde. Da Marburg Geld im Überfluss hatte, begann man mit Volldampf den Kirchenbau und war eher fertig als Trier. Somit hat Marburg, noch heute sehr zum Ärger der Trierer, die älteste gotische Kirche Deutschlands.
Doch zurück zu den Kirchenfenstern und zu dem eigentlichen Thema: »Wie entsteht ein Kirchenfenster?«
Ich möchte meine Erklärungen an einem Beispiel aus Herne nachvollziehbar machen.
Dazu habe ich mir die Neugotische Kirche Peter und Paul in Börnig (meine Heimatkirche) ausgesucht, welche 1903, nach nur gut einjähriger Bauzeit, eingeweiht wurde. Heute hätte man in einem Jahr noch nicht einmal die Bauanträge durch!
Im Laufe der über 100 Jahre sind die Kirchenfenster wiederholt durch neue ersetzt worden. Insbesondere der Abwurf von Luftminen durch amerikanische Bomber, kurz vor Ende des 2. Weltkrieges, zerstörte alle Kirchenfenster; bis auf wenige Fragmente. Nachdem Ende des Krieges war man zunächst froh, überhaupt wieder die Fenster mit einfachem Glas schließen zu können. Im Laufe der Jahre kamen dann nach und nach neue bunte Glasfenster hinzu. Bei den großen Kirchenrenovierungen in den 1970er und 1980er Jahren wurden viele Fenster, von dem bekannten Herner Künstler Jupp Gesing und der Glaserei Knack aus Münster, neu geschaffen. Der Künstler Jupp Gesing hat in seinem Schaffensleben für über 150 Kirchen Kirchenfenster entworfen.
Höhepunkt und Abschluss bildete die Schaffung der großen »Turm-Rosette«. An diesem Beispiel möchte ich nun auch erläutern, wie ein Kirchenfenster entsteht:
Wenn Pfarrer und Kirchenvorstand beschlossen haben, ein neues Kirchenfenster gestalten zu lassen, wird ein Künstler ausgewählt und zum Vorgespräch eingeladen. Von Vorteil ist, wenn der Künstler schon bekannt ist, im Bistum bereits Kirchenfenster geschaffen hat und auch noch möglichst katholischen Glaubens ist.
Ich möchte hier wieder eine kleine Anekdote einflechten: Die Tochter des seinerzeit bedeutenden Künstlers Edmund Schuitz aus Wanne-Eickel, hat mir mal erzählt, dass ihr Vater 1950 einen Auftrag für ein Altarbild in einer evangelischen Kirche (mit dem Thema »Auferstehung«) erhalten hat. Vor Annahme des Auftrages musste der katholische Küster jedoch beim katholischen Bistum um Genehmigung bitten, in einer evangelischen Kirche dieses Altarbild gestalten zu dürfen. Wenn er das nicht gemacht hätte, wären künftig Aufträge für eine katholische Kirche nicht genehmigt worden.
Das war Ökumene vor 70 Jahren!
Doch nun wieder zurück zum eigentlichen Thema. Bei dem Vorgespräch äußern Pfarrer und Kirchenvorstand ihre Vorstellungen vom Motiv und der Art des Glasfensters. Im Wesentlichen unterscheidet man drei Arten der Glaskunst:
- Fenster aus vorgefärbtem Glas (vorwiegend bei geometrischen Motiven).
- Glasfenster, bei denen das Glas durch Auftragung von Schmelzfarben (Emailfarben) und anschließendem Brennen im Schmelzofen zu Farbglas wird.
- Eine Kombination aus 1. und 2.
Der Künstler nimmt die Vorstellungen und Ideen des Gremiums (Pfarrer, Kirchenvorstand) auf und setzt diese in seinem Atelier in seine künstlerischen Vorstellungen um. Hierzu benutzt der Maler ein Kartonpapier, in unserem Beispiel 60 x 80 cm und malt seine Vorstellungen sehr exakt mit teilweise feinsten Pinseln.
Nach Fertigstellung des Entwurfes stellt der Künstler dem Pfarrer und Kirchenvorstand das Ergebnis vor und erläutert seine künstlerische Übersetzung der Vorgabe. Bei dieser Vorstellung ist auch ein Kirchenfenster-Beauftragter des Bistums anwesend. Sind alle mit dem Entwurf einverstanden, erarbeitet der Künstler in seinem Atelier die Umsetzung in der Größe 1:1 des zu schaffenden Fensters. Das heißt, aus einem kleinen Bildchen des Entwurfes wird ein großes Bild in der späteren Originalgrö ße. Mit diesen Gemälden in Originalgröße fährt der Künstler zu einer Kirchenfenster-Glaserei.
Dort bespricht der Künstler mit dem Glasmaler jedes De tail und jede »Farbe«. Hier wird endgültig der Original Farbton durch den Künstler festgelegt; denn Rot ist nicht gleich Rot. Es gibt von allen Farben zig Farbtöne. Insgesamt gibt es rund 5000 verschiedene Glasfarben. Der Glasmaler hat dann die Aufgabe, die 1:1 Malerei des Künstlers abzumalen. Zu diesem Zweck legt der
Glasmaler eine Glasscheibe auf die Vorlage-Malerei und trägt die sogenannte Schmelzfarbe, auch Emaile-Farbe genannt, exakt der Vorlage auf. Diese Art der Glasmalerei ist besonders seit dem 16. Jh. so üblich.
Da Schmelzfarben oft giftige Schwermetalle enthalten, haben vor einiger Zeit Umweltauflagen Ersatz-Inhaltsstoffe vorgeschrieben. Die Folgen werden jetzt deutlich: Erhebliche Qualitätseinbußen, bezüglich Haltbarkeit und Strahlkraft der Farben.
Hat der Glasmaler die Malerei auf das Glas gebracht, wird dieses bei 640 Grad im Schmelzofen mit dem Glas verbunden und dadurch zu einer Einheit. Ein Entfernen der Farbe ist dann nicht mehr möglich.
Die einzelnen Glaselemente werden dann durch U- und H-förmige Bleiprofile, in der Fachsprache »Bleiruten« genannt, so eingefasst, wie der Künstler sie in seiner Malerei vorgegeben hat. Um die Bleiprofile miteinander zu verbinden, werden die Lötpunkte mit Lötzinn verbunden. Bei großen Fenstern werden zur Stabilität in den Bleiprofilen Stahleinlagen eingelegt. Mit einem speziellen Kitt, eine Paste aus Leinöl, Kreide, Ruß und Terpentin, werden die Fugen abgedichtet. Diese traditionelle Handwerkskunst der „Blei-Verglasung" ist seit dem Hochmittelalter bekannt. Sie kommt selbstverständlich auch bei Fenstern aus vorgefärbtem Glas zum Einsatz.
Ist das Fenster komplett verbleit kann der Einbau in der Kirche erfolgen. Der Einbau wird in der Regel mit einer Einweihungsfeier abgeschlossen. Ich glaube, an dem Bei spiel wird der unglaublich hohe künstlerische und handwerkliche Aufwand deutlich. Ein solches Kirchenfenster stellt einen hohen materiellen, künstlerischen und ideellen Wert dar.
Leider werden heute Kirchenfenster mit klassischen biblischen Motiven kaum noch geschaffen. Weil so gut wie kaum neue Kirchen gebaut werden und bei den wenigen Neubauten dann moderne Motive zum Einbau kommen.
In einem Kirchenführer der Peter und Paul-Kirche findet sich die von mir vorgestellte und besprochene Turm-Rosette bildlich und erläuternd dargestellt.
Wenn Sie mal Gelegenheit haben, gehen Sie in die Börniger Kirche und schauen Sie sich die Turm-Rosette und natürlich auch die anderen Kirchenfenster einmal an.
Übrigens: Ein Kirchenfenster kann man nur von „Innen nach Außen" betrachten. Nur dann entfaltet das Buntglas seine Leuchtkraft. Keine Malerei kann eine solche Farbleuchtkraft haben, wie ein Kirchenfenster.
Für die Turm-Rosette ist die ideale Betrachtungszeit die Spätnachmittagssonne. Dazu muss man bis vor den Chorraum treten und dann zurückschauen. Es wird Sie be geistern!
Die bedeutendsten Glasfenster befinden sich zwar in den großen Kathedralen Frankreichs, doch unmittelbar in unserer Nähe kann man das größte gotische Kirchenfester nördlich der Alpen bestaunen.
Es befindet sich im Altenberger Dom, auch »Bergischer Dom« genannt. Die Maße des Fensters: 8,00 x 18,00 Meter!
In den Jahren 1995 bis 2004 (9 Jahre!) wurde das Fenster im Altenberger Dom durch die Paderborner Glasmanufaktur Peters saniert / restauriert. Hier wird deutlich, welch hoher zeitlicher, künstlerischer und geldlicher Aufwand nötig ist, um ein solches Kulturgut für die Nachwelt zu erhalten!
Die Kirche mit der größten Kirchenfenster-Gesamtfläche in Deutschland ist der Kölner Dom. Alle Kirchenfenster zusammen ergeben eine Fläche, so groß wie ein Fußballfeld. Zum Schluss möchte ich noch gerne erwähnen, dass mir die Witwe des Künstlers Jupp Gesing, Frau Cäcilie Gesing, (✝ 2016), den Original-Entwurf für die Turm-Rosette der Peter und Paul-Kirche übereignet hat. Er ziert mein Wohnzimmer und ich bin stolz, ein solch einmaliges Kunstwerk zu besitzen.
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Quellen
- ↑ Veröffentlicht in: Der Bote 2019-07 S. 5-8
- ↑ Einweihung im Juni 1985.