Meineidsprozess Schulte-Oestrich 1881

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Im Jahre 1881 kam es vor dem Schwurgericht Dortmund zu einem in Castrop hochbeachteten Verfahren gegen den Landwirt Josef Schulte-Oestrich. Der Castroper Anzeiger berichtete ausführlich. Versuche wir einmal, die Geschichte kurz zu beleuchten, öffnet sie doch ein Zeitfenster in die soziale und wirtschaftlich Gegenwart unserer Ahnen in Holthausen-Oestrich.

Der listige Schulte-Oestrich

An einem kühlen Januarmorgen 1882 sammelten sich neugierige Zuschauer vor dem Schwurgericht in Dortmund. Drinnen begann ein Fall, der die Gemüter erhitzte: Joseph Schulte-Oestrich, ein Landwirt aus Oestrich, stand wegen Meineids vor Gericht. Sein Name war berüchtigt, nicht nur wegen seiner Rolle im Prozess um den Mord an Lisette Schülken, sondern auch wegen seines finsteren, hinterhältigen Auftretens. Mit seinem markanten Gesicht, den stechenden Augen und dem schmalen, stets leicht verzogenen Mund erschien er wie eine Gestalt aus einem dunklen Roman. Die Geschichte begann mit dem grausamen Mord an Lisette Schülken, einer Dienstmagd, deren verstümmelte Leiche in einem Roggenfeld nahe Schulte-Oestrichs Hof gefunden wurde. Schnell fiel der Verdacht auf den Strohhändler Korte. Schulte-Oestrich, der behauptete, Korte am Morgen der Tat zwischen 8 und 9 Uhr gesehen zu haben, wurde zum Hauptzeugen. Doch die Sache nahm eine überraschende Wendung, als Kortes Alibi sich als wasserdicht herausstellte und er freigesprochen wurde.

Nun richtete sich der Verdacht auf Schulte-Oestrich selbst. Warum hatte er den Milchknecht, der an jenem Morgen nachweislich bei Korte war, in seiner Aussage ausgelassen? Und warum schien er so darauf erpicht, Korte zu belasten? Der Verdacht wuchs, dass Schulte-Oestrich etwas zu verbergen hatte.

Im Gerichtssaal verteidigte er sich geschickt, fast schon diabolisch. Er blieb stur bei seiner Version, ließ sich von Widersprüchen in seinen Aussagen nicht beirren und schob die Schuld auf andere. „Vielleicht hat jemand die Uhr verstellt,“ meinte er lakonisch, als man ihn auf die Diskrepanz zwischen den Zeitangaben hinwies. Sein Gesicht blieb dabei unbewegt, nur seine Augen schienen zu blitzen, als würden sie einen unausgesprochenen Triumph verraten.

Die Zeugenaussagen gegen ihn waren überwältigend. Der ehemalige Milchknecht, ein einfacher Mann mit beschränktem Verstand, hatte schließlich zugegeben, dass Schulte-Oestrich ihn an jenem Morgen geschickt hatte. Doch auch dieser Zeuge wirkte eingeschüchtert und verwirrt, als er vor Gericht stand. Es war, als ob der Schatten des Landwirts selbst hier noch über ihm hing.

Am Ende des ersten Verhandlungstages war die Spannung greifbar. War Schulte-Oestrich nur ein gewissenloser Opportunist, der sich in der Mordaffäre eine eigene Agenda zunutze machte? Oder steckte mehr hinter seinem Verhalten? Während die Richter sich in ihre Beratungen zurückzogen, blieb eines klar: Mit Schulte-Oestrich hatte das Gericht einen Mann vor sich, dessen wahre Absichten ebenso undurchsichtig waren wie sein verschlagenes Lächeln.

Das Netz zieht sich zu

Am zweiten Verhandlungstag gegen Joseph Schulte-Oestrich verschärften sich die Widersprüche und Lügen, während die Zeugen sich in einem verworrenen Geflecht aus Erinnerungen, Behauptungen und offensichtlichen Manipulationen verfingen. Schulte-Oestrich, dessen Ausstrahlung von einer gefährlichen Berechnung zeugte, saß mit verschränkten Armen und einem durchdringenden Blick auf der Anklagebank. Er schien die Worte jedes Zeugen zu wiegen, als seien sie Spielsteine auf einem Schachbrett, das nur er vollends überblickte.

Der dritte Zeuge, Dr. jur. Gottschalk, ein erfahrener Verteidiger, war nicht bereit, Schulte-Oestrich die Bühne zu überlassen. Er berichtete detailliert von einem Besuch auf Schulte-Oestrichs Hof während des Prozesses gegen Korte. „Liebenswürdig“, so beschrieb er Schulte-Oestrichs Auftreten damals – ein Wort, das im Kontrast zu dessen heutiger Erscheinung stand. Doch diese Freundlichkeit hatte Grenzen. Während Gottschalk mit ihm den Tatort inspizierte, hatte Schulte-Oestrich plötzlich über seinen eigenen Milchknecht gespottet: „Der dumme Junge will an dem Tag in Bochum gewesen sein – ich hätte ihn nicht geschickt!“ Eine Bemerkung, die später in der Verhandlung von Schulte-Oestrich geleugnet wurde.

Besonders bemerkenswert war Gottschalks Schilderung eines weiteren Gesprächs. Schulte-Oestrich hatte damals eingeräumt, sich bei der Uhrzeit von Kortes Besuch möglicherweise geirrt zu haben. Doch als Gottschalk äußerte, Korte könne unmöglich der Mörder sein, war Schulte-Oestrich förmlich explodiert. „Was sagen Sie da?“ hatte er mit aufblitzenden Augen und scharfer Stimme gefragt, bevor er sich mühsam wieder fasste. Heute, vor Gericht, spielte er diese Unterredung herunter – als hätte sie nie stattgefunden.

Der Strohhändler Korte, das einstige Ziel von Schulte-Oestrichs Anschuldigungen, trat mit einer Klarheit auf, die im Gegensatz zu den windigen Aussagen seines Widersachers stand. Er rekonstruierte den Morgen des 5. August 1879 mit beeindruckender Präzision: Von der Bestellung des Strohs um 8 Uhr bis zu seiner Abfahrt um 9:50 Uhr, dem Weg über Landstraßen, bis er gegen 10:30 Uhr Schulte-Oestrichs Hof erreichte. Der Detailgrad seiner Aussagen war bemerkenswert und wurde von weiteren Zeugen, darunter ein Bochumer Handelsmann, bestätigt.

Der wohl loyalste Verbündete von Schulte-Oestrich, der 19-jährige Vetter und Ökonomie-Eleve H. Wortmann, brachte jedoch nicht die gewünschte Entlastung. Anfangs stützte Wortmann die Aussagen des Angeklagten: Korte sei zwischen 8 und 9 Uhr auf dem Hof gewesen. Doch unter dem Druck des Gerichts und der erdrückenden Beweise gab er zu, dass die Zeitangabe womöglich falsch war – es könnte auch später gewesen sein. Wortmanns Versuche, Korte zu diskreditieren, wirkten durch diese Zugeständnisse hohl. Auch der Widerspruch über die angeblich servierten Getränke – Kaffee oder Branntwein – wirkte wie ein verzweifelter Versuch, die Glaubwürdigkeit von Korte zu untergraben.

Als Korte und Wortmann sich im Gerichtssaal direkt gegenübergestellt wurden, blieb der Strohhändler fest. „Ich bleibe bei jedem meiner Worte,“ erklärte er mit einem festen Blick. Wortmann hingegen wirkte verunsichert, seine Aussagen zerrannen wie Sand zwischen den Fingern.

Der Prozess, der sich wie ein kniffliges Puzzlespiel entwickelte, schien für Schulte-Oestrich gefährlich auszugehen. Seine Bemühungen, sich in Ausflüchte und Andeutungen zu retten, wurden von präzisen Zeugenaussagen und belastenden Details erstickt. Die wachsende Überzeugung im Gerichtssaal: Der listige Landwirt hatte etwas zu verbergen – und die Wahrheit war vielleicht noch dunkler, als bisher angenommen.

Der dritte Prozesstag: Ein Netz aus Verdacht, Lügen und belastenden Enthüllungen

Der dritte Verhandlungstag gegen Joseph Schulte-Oestrich begann mit einer heiklen Wendung. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde die Öffentlichkeit zeitweise ausgeschlossen, da mehrere Zeuginnen ausgesagt hatten, Schulte-Oestrich habe sie sexuell bedrängt. Als die Verhandlung wieder aufgenommen wurde, gerieten die Aussagen zunehmend belastend und zeichneten ein Bild des Angeklagten als eine Person, die sich auf Lügen, Einschüchterung und Manipulation stützt. == Neue Enthüllungen: Augenzeugin am Tatort == Die Ehefrau des Bergmanns Lange sorgte für Aufsehen, als sie die verstorbene Witwe Galland zitierte. Diese habe Schulte-Oestrich als Mörder der Lisette Schülken bezeichnet. Galland habe behauptet, ihn am Morgen des Mordes im Wäldchen gesehen zu haben, wo später die Leiche gefunden wurde. Auch ihre Tochter, die Ehefrau Kersten, bestätigte diese Aussage, wonach Galland aus Angst geschwiegen habe. Laut Kersten sei ihre Mutter zwar „etwas eigen“, jedoch vollkommen klar im Kopf gewesen.

Der Milchjunge Birkholz: Eine Lüge wird aufgedeckt

Der Milchjunge Birkholz, ein zentraler Zeuge, belastete den Angeklagten weiter. Anfangs hatte er in der Voruntersuchung ausgesagt, er sei am Tag des Mordes nicht bei Korte gewesen, was er jedoch nun widerrief. Unter Druck seiner eigenen Gewissensbisse hatte Birkholz später anderen Arbeitern gestanden, gelogen zu haben. Er gab zu, dass Frau Schulte-Oestrich ihn zur falschen Aussage gedrängt hatte. Diese Enthüllung stützte die These der Staatsanwaltschaft, dass der Angeklagte und seine Familie systematisch versuchten, die Wahrheit zu verschleiern. Schulte-Oestrich verteidigte sich, indem er Birkholz Diebstahl vorwarf. Der Milchjunge gestand, gelegentlich Futter für Korte mitgenommen zu haben, bestritt jedoch, dass dies die Glaubwürdigkeit seiner jetzigen Aussage mindern könnte.

Manipulation und Kontrolle im Alltag

Die Aussagen des ersten Knechts Kersting zeichneten das Bild eines strengen Haushalts, in dem Schulte-Oestrich alles kontrollierte – sogar die Uhr. Kersting erklärte, der Angeklagte habe die Uhr morgens eine Stunde vorgestellt, um die Dienstboten früher arbeiten zu lassen, und abends zurückgestellt, um die Arbeitszeit zu verlängern. Dieses Detail unterstrich die autoritäre und manipulative Natur des Angeklagten.

Finanzielle Notlage und frühere Vergehen

Zeugenberichte offenbarten, dass Schulte-Oestrich zum Tatzeitpunkt in einer finanziellen Notlage steckte. Rückstände bei der Steuer führten zu Pfändungen, und er hatte Druck, Geld aufzutreiben. Der königliche Steuerempfänger Schlichting bestätigte, dass Schulte-Oestrich sogar eine Kuh gepfändet worden war.

Der Landwirt Gustav Thürich beschrieb eine lange Geschichte von Intrigen und Fälschungen, die dem Angeklagten zugeschrieben wurden. Besonders düster war die Schilderung eines Vorfalls aus dem Jahr 1854, bei dem ein Knecht angeblich im Auftrag Schulte-Oestrichs versucht hatte, dessen eigenen Vater zu erschießen. Thürich gab jedoch zu, dem Angeklagten feindlich gesinnt zu sein, was die Glaubwürdigkeit seiner Aussagen minderte.

Der Tatort: Zeugnisse über den Mord an Lisette Schülken

Zeugen beschrieben die Umstände der Tat erneut. Der Landwirt Bergmann, bei dem Lisette Schülken arbeitete, hob hervor, dass der Kampf zwischen Opfer und Täter vermutlich im Roggenfeld begann und im Wäldchen endete. Auffällig war, dass Schulte-Oestrich sich nach dem Mord auffallend desinteressiert gezeigt hatte. Sogar sein Vetter Wortmann wurde ausgesandt, um von einem „verdächtig aussehenden Fremden“ zu berichten – ein möglicher Versuch, die Ermittlungen in eine andere Richtung zu lenken.

Ein dunkles Bild

Der dritte Prozesstag offenbarte eine Vielzahl belastender Details über den Angeklagten. Manipulative Machenschaften, erzwungene Falschaussagen und das Verhalten Schulte-Oestrichs nach der Tat zeichnen ein düsteres Bild. Während direkte Beweise für seine Täterschaft weiterhin fehlen, verdichten sich die Indizien, dass er in den Mord verwickelt ist. Schulte-Oestrichs Glaubwürdigkeit ist schwer angeschlagen, und das Netz aus Lügen und Verdacht zieht sich immer enger um ihn.

Die Schatten des Hofes

Am 26. Januar begann die Verhandlung gegen den verschlagenen Gutsbesitzer Schulte-Oestrich, dessen hinterhältige Machenschaften Stück für Stück ans Licht kamen. Die Ereignisse waren von dunklen Intrigen, falschen Versprechen und einem Netz aus Feindschaften durchzogen, das die Beteiligten immer tiefer in einen Strudel von Misstrauen und Verdächtigungen zog.

Der Tag startete mit der Aussage von Polizeikommissar Hoyer, der den Leumund des Tagelöhners Johann Reitz bestätigte. Dieser sei ein ehrlicher Mann, der nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten war. Doch Schulte-Oestrich hatte längst ein anderes Bild von Reitz gezeichnet. Als dieser von seiner Begegnung mit dem Angeklagten im Sommer 1878 berichtete, offenbarte sich das manipulative Wesen des Gutsbesitzers.

Damals hatte Schulte-Oestrich Reitz auf einer Wiese mit Schnaps bestochen, um ihn für eine üble Tat anzuwerben. „Schaffen Sie mir Piel und Giespe vom Hof!“, hatte er mit eisigem Lächeln gefordert, dabei in aller Ruhe an seiner Flasche nippend. Als Reitz zögerte, setzte der Gutsbesitzer noch einen drauf: „Ich leihe Ihnen mein Gewehr.“ Doch Reitz lehnte ab, sein Gewissen war rein wie klares Wasser. Schulte-Oestrichs Blick verfinsterte sich, und er beschränkte sich darauf, Reitz zu raten, die beiden Rivalen „nur“ zu verprügeln.

Die nächste Aussage brachte das Bild eines Mannes zutage, der keine Grenzen kannte. Der frühere Pächter Wilhelm Giespe berichtete von mysteriösen Bränden, die den Hof heimsuchten. Schulte-Oestrich hatte alte Gerätschaften und wertlose Maschinen sorgfältig in einem Schuppen deponiert, ihn bis zur Decke mit Stroh gefüllt und kurz darauf versichert – ein Brand war unvermeidlich. Giespe, der den Hof nach Jahren der Gewalt und Streitereien verlassen hatte, war überzeugt, dass Schulte-Oestrich ein Brandstifter war, der durch Schwindel und Schrecken Profit suchte.

Die Entlastungszeugen, die Schulte-Oestrich ins Feld führte, wirkten dagegen farblos. Einige Bauern bescheinigten ihm, ein fähiger Landwirt zu sein, doch ihre Aussagen waren schwach und voller Widersprüche. Besonders eine Frau Brinkmann ließ tief blicken: Sie hatte offenbar auf Druck eines Komplizen des Angeklagten versucht, ihre Aussage zu Gunsten Schulte-Oestrichs zu manipulieren, war aber kläglich gescheitert.

Die Sitzung endete mit weiteren dunklen Enthüllungen. Der zwielichtige Latrinenmeister Heinrich Bause erklärte unverhohlen, er sei da, „um durch sein Zeugnis einen Juden kaputt zu machen“. Sein Hass und seine Unverfrorenheit waren so offensichtlich, dass selbst der Gerichtshof ihm keinen Glauben schenkte.

Schließlich trat der Oekonom Michel Piel auf, der schilderte, wie Schulte-Oestrich ihn zu Unrecht des Diebstahls beschuldigt hatte. Die Liste der Feinde des Angeklagten schien endlos. Selbst bei der Uhrzeit, zu der er am Tag des Mordes an Lisette Schülken angeblich aufgestanden war, widersprachen die Zeugen seiner Darstellung. Schulte-Oestrich wirkte zunehmend bedrängt, doch seine kalten Augen ließen keinen Zweifel: Er war ein Mann, der bereit war, alles zu tun, um sich selbst zu retten.

Am Ende des Tages war klar, dass Schulte-Oestrichs glänzende Fassade längst Risse hatte. In seiner kalten, berechnenden Art hatte er ein Netz aus Täuschung und Gewalt gesponnen, das nun dabei war, ihn selbst zu verschlingen. == Das Urteil der Geschworenen == Die Anspannung im Gerichtssaal war greifbar, als die letzten Fragen an die Geschworenen gestellt wurden: Sollte der Angeklagte, Schulte-Oestrich, am 15. Dezember 1880 wissentlich ein falsches Zeugnis abgelegt haben? Wenn ja, hatte seine Aussage den Mordfall auf den falschen Weg geführt und könnte sie auf fahrlässiger Basis beruhen? Doch niemand in diesem Raum, der von Zwielicht und Geheimnissen durchzogen war, hatte Zweifel an der Antwort, die die Geschworenen bald fällen würden.

Es war längst 2 Uhr nachmittags, als die Pause endlich vorbei war und Staatsanwalt Tewaag mit seinem eindringlichen Plädoyer begann. Die grausamen Morde an Marie Kost, Elise Riemenschneider und Lisette Schülken, die wie ein unheilvoller Schatten über der Region hingen, verbanden sich in den Köpfen der Zuhörer zu einem einzigen unheilvollen Bild. Drei Frauen, auf brutalste Weise ermordet und geschändet, ihre Leben aus dem Dunkel der Vergangenheit heraus wiedererweckt durch diese erschütternden Verbrechen.

Die Staatsanwaltschaft stellte klar: Es gab Verbindungen zwischen den Morden, und der Druck auf die Bevölkerung war gewaltig. Doch der wahre Schock folgte, als schließlich der Name Korte ins Spiel kam. Der Strohhändler aus Bochum war zunächst als Verdächtiger ins Visier geraten. Doch obwohl er in Widersprüche verwickelt war und sich in der Zeit seiner Alibis nicht eindeutig ausweisen konnte, hatte er doch nichts weiter als den Hohn und die Unschuld eines missverstandenen Mannes gefunden. Korte saß acht Monate im Gefängnis – ein unschuldiger Mann, dessen Gesundheit mit jedem Tag, den er dort verbrachte, weiter dahin schwand. Und was war die Ursache seines Leides? Eine Lüge, die Schulte-Oestrich in der ersten Verhandlung gegen ihn als vermeintlichen Zeugen aufstellte. Der Gutsbesitzer hatte Korte ins Unrecht gesetzt, ihn in einen Sumpf aus Verdächtigungen gezogen, der nicht nur seine Freiheit, sondern auch seine Würde zerstörte.

Tewaag fuhr fort, dass das ganze Geflecht aus Lügen, das Schulte-Oestrich gesponnen hatte, schließlich durch die Ermittlungen des Criminalcommissars von Hüllessem ans Licht kam. Zeugen, deren Aussagen die Familie des Angeklagten in einem völlig anderen Licht erscheinen ließen, widerlegten die zuvor abgegebene Zeugenaussage des Angeklagten. Doch dies war nur ein Teil des beunruhigenden Puzzles, das den Angeklagten zunehmend in den Fokus rückte.

Der Staatsanwalt sprach ohne Umschweife die Wahrheit aus: Der Angeklagte war ein Mann, dessen Charakter von Grund auf verdorben war. Er hatte nicht nur einen falschen Eid geschworen, sondern war in den Mordfall verwickelt, sei es durch eigenes Handeln oder durch das bewusste Verschleiern der Wahrheit. Der Druck, den Schulte-Oestrich auf seine Familie und seine Mitarbeiter ausgeübt hatte, um sich zu schützen, war unmissverständlich. Er hatte gewusst, was geschehen war, und war bereit, dafür alles zu tun – sei es, um sich selbst zu schützen oder einen anderen Mann, der in den Mord verwickelt war, zu decken.

„Warum sonst“, fragte der Staatsanwalt mit nachdrücklicher Stimme, „sollte Schulte-Oestrich so fest an seiner Zeitangabe festhalten? Nur drei Möglichkeiten kommen in Frage: Entweder er war selbst der Täter, oder er fürchtete, in den Mordfall verwickelt zu werden, oder er wusste von der Tat und wollte einen anderen schützen.“

Die Zeuginnen, die von einer Witwe berichtet hatten, die den Angeklagten am Tatort gesehen haben wollte, waren nur ein schwacher, unsicherer Puzzlestein im größeren Bild. Ihre Aussagen stützten sich auf die Erinnerungen einer verstorbenen Frau, deren Wahrheitsgehalt nur schwer zu beweisen war. Doch der Staatsanwalt ließ keinen Zweifel daran, dass der Angeklagte wissentliche Falschaussagen gemacht hatte, die den Verlauf der Ermittlungen gezielt in die Irre führten.

„Schulle-Oestrich ist kein Unschuldiger“, fuhr Tewaag fort, „sondern ein Mann, der durch seine Lügen und Machenschaften das Schicksal anderer in die falsche Richtung gelenkt hat.“ Er stellte den Antrag auf eine Verurteilung wegen wissentlichen Meineids und mahnte die Geschworenen, nicht nur die Fakten, sondern auch den Charakter des Angeklagten zu berücksichtigen, der es in keiner Weise verdient hatte, sich aus der Sache zu winden.

Das Urteil stand bald bevor, und die Frage, ob Schulte-Oestrich ein weiteres Mal mit Glück davongekommen war, hing schwer in der Luft. Die Wahrheit hatte sich ihren Weg gebahnt, trotz aller Versuche, sie zu verschleiern. Doch die dunklen Schatten des Hofes würden niemals ganz verschwinden – und Schulte-Oestrich, der Mann, der durch Lügen und Intrigen seinen Weg gepflastert hatte, wusste, dass er nur eine Maske trug, die die Wahrheit niemals vollständig verbergen konnte.

Die Verteidigung

Der Verteidiger, Herr Rechtsanwalt Dithmer, ergriff das Wort und versuchte, das Bild des Angeklagten in einem anderen Licht darzustellen. Er hob hervor, wie die Geschworenen während der drei Tage der Verhandlung in das komplexe und düstere Geheimnis der Bochumer Mädchenmorde eingetreten seien. Dithmer betonte, dass das Augenmerk auf der eigentlichen Anklage lag: Ob der Angeklagte wissentlich ein falsches Zeugnis abgelegt hatte und ob er die Aussage gemacht hatte, dass der Strohhändler Korte an dem betreffenden Tag nach 9 Uhr bei ihm eingetroffen sei. Alle anderen Fragen, wie die moralische Verdorbenheit des Angeklagten oder etwaige frühere Vergehen, seien irrelevant. Das einzige, was für die Geschworenen zählte, war die Beweisaufnahme und deren genaue Würdigung.

Er wies darauf hin, dass viele der Zeugenaussagen, die gegen den Angeklagten gerichtet waren, aus Feindschaft gegenüber ihm stammten und damit in Frage gestellt werden sollten. Die Aussage des Zeugen Reitz, der in Zusammenhang mit einem vermeintlichen Angebot des Angeklagten ein Gerücht verbreitet hatte, sei seiner Ansicht nach nur ein Scherz und keinesfalls als belastendes Beweismaterial zu werten. Auch die ungünstigen Hinweise, die auf den Angeklagten hindeuteten, wurden von Dithmer in Zweifel gezogen. Besonders hob er hervor, dass die Mordtat an Lisette Schülken eher einem anderen Verdächtigen zugeschrieben werden sollte – dem Strohhändler Korte, der sich zu diesem Zeitpunkt in der Nähe des Tatorts aufgehalten hatte und selbst in seltsame, verdächtige Umstände verwickelt war.

Dithmer schloss seine Verteidigungsrede mit einem Appell an die Geschworenen: Ihr Urteil müsse auf einer festen Grundlage beruhen, ohne Raum für Zweifel. Der langwierige Zeitraum zwischen der Tat und den Ermittlungen, die Unklarheit der Zeugenaussagen und mögliche Irrtümer der Zeugen müssten berücksichtigt werden. Er forderte ein Urteil im Sinne der Unschuld des Angeklagten. Nach einer Stunde der Beratung gaben die Geschworenen ihre Entscheidung bekannt: Sie hatten die erste Frage bejaht, jedoch die zweite verneint. Der Angeklagte wurde somit des wissentlichen Meineids schuldig gesprochen.

Der Staatsanwalt Tewaag unterstrich die Schwere des Falls. Durch die falsche Aussage des Angeklagten sei Korte zu Unrecht inhaftiert worden, acht Monate lang unschuldig, was enorme körperliche und seelische Folgen für ihn gehabt habe. Korte, der zu Beginn gesund und kräftig gewesen war, hatte die Haft als gebrochener Mann verlassen. Der Staatsanwalt beantragte daher das höchste Strafmaß von zehn Jahren Zuchthaus und zehn Jahren Ehrverlust.

Der Verteidiger bat um eine mildere Strafe, doch nach einer längeren Beratung wurde das Urteil gefällt: Der Angeklagte wurde zu neun Jahren Zuchthaus und zehn Jahren Ehrverlust verurteilt. Zudem wurde ihm die Qualifikation aberkannt, jemals wieder als Zeuge oder Sachverständiger in einem Gerichtshof vernommen zu werden.

In der Begründung des Urteils wurde darauf hingewiesen, dass der Angeklagte durch seine falsche Aussage Korte in die Anklagebank gebracht hatte. Dies rechtfertige eine harte Strafe, jedoch wurde berücksichtigt, dass der Angeklagte nicht den schlimmsten Fall eines Meineides begangen habe, da Korte sich körperlich wieder erholt habe und selbst zur Anklage beigetragen habe, etwa durch sein ausschweifendes Leben und unrichtige Angaben.

Das Urteil wurde im Angesicht der Öffentlichkeit verkündet, und während der Verurteilte keine Regung zeigte, hatte sich vor dem Kölnischen Hof eine riesige Menschenmenge versammelt, um entweder einen Platz im Gericht zu erlangen oder den Verurteilten zum letzten Mal zu sehen.

Joseph Schulte-Oestrich ging in den Bau. Im kg. Strafgefängnis zu Essen-Werden, dem ehem. Benediktienerkloster, starb er bereits am 23. Dezember 1882 an der Schwindsucht. Er wurde am 27. Dezember 1882 auf dem kath. Friedhof in Castrop beigesetzt. Er hienterließ zwi Kinder und seine Witwe Clementine.

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