Haranni im Werdener Heberegister (Reiners 1935) I

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Am 26. Januar 1935 startete Leo Reiners im Herner Anzeiger ein umfangreichen Artikelserie über „Haranni“. [1]

Haranni im Werdener Heberegister

Von Dr. Leo Reiners

Wohl jeder gute Herner weiß, dass unsere Stadt als Bauerschaft Haranni zum ersten Mal um 900 im Werdener Heberegister erwähnt ist. Aber damit ist ein Wissen über diese ortsgeschichtlich so bedeutsame Tatsache erschöpft. Und doch erhebt sich sofort die Frage: Was ist denn das Werdener Heberegister? Wo befindet es sich? Wie sieht es aus? Was wird dort über Haranni gesagt? Was steht sonst noch darin? All solche Fragen sind bisher in der Herner heimatgeschichtlichen Literatur nicht behandelt worden. Man hat nicht einmal versucht, die Haranni-Stelle des Werdener Heberegisters einmal direkt oder durch eine Photokopie zu Gesicht zu bekommen. Daher sei im Folgenden das bisher nicht Geschehene nachgeholt.
Da das Werdener Heberegister die an das Kloster Werden Abgabepflichtigen mit ihrem Abgabesoll aufführt, so ist es notwendig, zunächst über die Geschichte des Klosters Werden, die Entstehung des klösterlichen Grundbesitzes und die über ihn Aufschluss gebenden Verzeichnisse einiges zu sagen. Wir stützen uns dabei auf das maßgebende Quellenwerk von Rudolf Kötzschke „Die Urbare der Abtei Werden a. d. Ruhr, A. Die Urbare vom 9.—13. Jahrhundert, Bonn 1906“[2].

Die Geschichte des Klosters Werden und seines Grundbesitzes.

Der erste Grund für die Stiftung des Klosters Werden im Tal der Ruhr, nahe der fränkisch=sächsischen Grenze, wurde gegen Ausgang des 8. Jahrhunderts gelegt, sogleich nachdem Karl der Große in zähem Ringen die Sachsen niedergeworfen hatte. Liudger, ein Friese von vornehmer Geburt, der in des Königs Auftrag seit 793 die kirchliche Ordnung Westsachsens schuf, erwarb hier inmitten großer Waldungen von den alteingesessenen Franken durch Kauf um Geldes Wert, Schenkung und Tausch ein kleines geschlossenes Gebiet. Eine Waldlichtung wurde gerodet, Reliquien wurden aufgestellt und eine Kirche wurde gebaut. Als Liudger am 30. März 804 zum ersten Bischof von Münster geweiht worden war, gab er auch der Kirche, die er in Werden errichtet hatte, die Weihe und fügte ihr ein Benediktinerkloster an, dessen Mönche an der Befestigung und dem Ausbau der Kirche in Sachsen und Friesland mitwirken sollten. Inzwischen hatte er sich in all den Gegenden, wohin ihn seine Missionstätigkeit führte, aus eigenem Vermögen und durch fromme Stiftungen einen ansehnlichen Streubesitz beschafft mit dem Recht, zu kirchlichen Zwecken vollkommen frei darüber zu verfügen. So überwies er dem Kloster Werden eine Menge verstreut gelegener Güter am Niederrhein, in Friesland und Westfalen.
Liudger starb 809 in Billerbeck in Westfalen und wurde seinem Wunsche gemäß in Werden an der Ostseite der Kirche begraben. Das Kloster fiel nun, da es eine Privatstiftung war, seinen Verwandten zu. Zunächst seinem Bruder Hildegrim, Bischof von Chalonz und später von Halberstadt, sowie seinem Neffen Gerfrid, Bischof von Münster. Danach kam die Leitung an Altfrid, den dritten Bischof von Münster. Unter diesen Männern nahm Kloster Werden eine stetige und gedeihliche Entwicklung. Eine Klosterschule und eine wertvolle Sammlung von Büchern, die später dadurch berühmt wurde, dass sie den Coder argenteus, die berühmte gotische Bibelübersetzung des Ulsilas, enthielt, wurden angefügt, das Gotteshaus wurde vergrößert und der Besitzstand erweitert.
Die wichtigste Erwerbung war der Königshof Friemersheim, den das Kloster von Karl dem Großen zur Befriedigung der Lebensbedürfnisse seiner an Zahl zunehmenden Mönche erhielt. In Werdens Nähe wurden eine Menge versprengter, zumeist kleiner Besitzstücke angekauft, andere schenkweise oder durch eigene Rodungsarbeit erworben. Namentlich aber in Westfalen und Friesland wuchs in diesem Zeitraum das Klostergut rasch an. Im Jahre 855 überwies Folker, ein reicher Grundherr, der zur Zeit der Normannen in Werden das Mönchsgewand nahm, dem Kloster einen ausgedehnten Streubesitz im Niederländischen und Friesischen. (Mit der Schenkungsurkunde Folkers beginnt die älteste Werdener Urbarhandschrift.)
Bald nach Altfrids Tode (849) machten Verwandte des hl. Ludgerus weltlichen Standes Eigentumsansprüche auf das Kloster und seinen Besitz geltend. Einer von ihnen, Berthold, versuchte sogar, sich des Klosters zu bemächtigen. Die Mönche wandten sich in ihrer Not an den königlichen Hof und die geistlichen Oberen und erreichten, dass auf einer Synode im Jahre 864 die Mönche für die rechtmäßigen Erben erklärt wurden.
Jetzt brach wieder eine bessere Zeit an. Das Ansehen des Klosters hob sich weiter, die große neue Kirche wurde vollendet und von Erzbischof Willibert von Köln zur Pfarrkirche mit abgegrenztem Pfarrbezirk erhoben. Der Vorsteher Hildegrim der Jüngere, Bischof von Halberstadt, übergab das Kloster auf Betreiben der Mönche in den Schutz des Königs. Ludwig III. gewährte daraufhin in einem Privileg von 871 dem Kloster Königsschutz und Immunität, nach Hildegrims Tod auch das Recht freier Abtwahl. Mit diesen Privilegien verbanden sich nicht nur Befreiung von Leistungen für den Staat, sondern auch Befugnisse staatlichen Ursprungs, wie Rechtsprechung im Immunitätsgericht u. a. Seit dieser Zeit war Kloster Werden als Reichsabtei aufs engste mit dem Geschick des Reiches verknüpft. Die Zeit höchster Entfaltung der deutschen Kaisermacht war zugleich die der glänzendsten Entwicklung Werdens.
Zur Zeit des Überganges auf die Äbte galt Werden als ein armes Kloster. Dies klingt etwas sonderbar, wenn man liest, dass der Güterbestand von Kötzschke für das Ende des 9. Jahrhunderts auf mindestens etwa 24 grundherrliche Gutsbetriebe. 192 Vollhufen und 52 Hufenteile sowie gegen 420 nicht näher bezeichnete leistungspflichtige Grundstücke veranschlagt wird. Man muss schon annehmen, dass der Ertrag dieser Güter und Abgaben nicht allzu hoch gewesen ist. Immerhin hat man in dieser Zeit zur Sicherung des Überkommenen ein Verzeichnis des gesamten Klostergutes angelegt. So entstand das älteste erhaltene Urbar. Es glückte auch, namentlich in Westsachsen, einige recht ansehnliche neue Erwerbungen zu machen: Salhöfe aus ehemaligem Kronbesitz, die Höfe Heldringhausen (bei Recklinghausen) und Arenbögel aus den Händen klein-grundherrlicher Familien.
Nachdem mit dem 2. Jahrzehnt des 10. Jahrhunderts ein Stillstand in der Ausbreitung des Besitzes


Der Wortlaut der Handschritt-Stelle

(In Klammern die Ergänzung der Abkürzungen)
in uil(la) Hulinni (= Hillen oder Hüllen) Hrodgis paup(er) X mo(dios) br(acilis) et XX auene mo(dios) - hier folgt eine Rasur, es scheint ordei dagestanden zu haben - XIl den arios) her(iscilling) II far(ine) mo(dios) et mans(ionem)
In cad(em lib(er) Erpger VI mo(dios) auen(e).
In uil(la) Hurlaon (= Hordel) Engilfrid XVIII mo(dios) ord(ei) VIII den(arios) her (iscilling) far(ine) II mo(dios).
In uil(la) Reinbeki (= Riemke) Gerheth de dim(idio) X mo(dios) ord(ei) XVIII mo(dios) auen(e) VIll den(arios) her(iscilling) et mans(ionem)
Uullifrid XII mo(dios) ord(eil XXIlII mo(dios) auen(e) VIll den(arios) her(iscilling) II far(ine) mo(dios) et mans(ionem)
In ead(em) Athalmar XXXVI mo(dios) auen(e) VIII den(arios) II far(ine) mo(dios) et mans(ionem).
In uil(la) Haranni (= Herne) Berahtuuini de manso pleno XXXVI (VI ist überge¬schrieben) mo(dios) ord(ei)…
Übersetzung:
(Es haben zu leisten:)
In der Bauerschaft Hüllen (oder Hillen b. Reckl.?) Hrodgis, ein armer Mann, 10 Scheffel Malz und 20 Scheffel Hafer, 12 Denare Heerschilling, 2 Scheffel Mehl und Beherbergung. Ebenda Erpger, ein Freier, 6 Scheffel Hafer.
In der Bauerschaft Hordel Engilfrid 18 Scheffel Gerste, 8 Denare Heerschilling, 2 Scheffel Mehl.
In der Bauerschaft Riemke Gerheth von einer halben Hufe 10 Scheffel Gerste, 18 Scheffel Hafer, 8 Denare Heerschilling und Beherbergung.
Wullifrid 12 Scheffel Gerste, 24 Scheffel Hafer, 8 Denare Heerschilling, 2 Scheffel Mehl und Beherbergung.
Ebenda Athalmar 36 Scheffel Hafer, 8 Denare, 2 Scheffel Mehl und Beherbergung.
In der Bauerschaft Herne Berathuwini von einer Vollhufe 36 Scheffel Gerste...
(Ende der Seite.)


eingetreten war, haben nach 930 eine ganze Reihe von Seelmeßstiftungen den Klosterbesitz, zumal in Werdens Nähe und in Westfalen, wieder vergrößert.
Wie glänzend die Stellung Kloster Werdens gegen Ausgang des 10. Jahrhunderts geworden war, geht daraus hervor, dass Abt Folkmar im Jahre 974 von Otto II. das Recht erhielt, Münze und Markt in Werden und Lüdinghausen zu errichten, um an diesen Mittelpunkten der Großgrundherrschaft Handel und Verkehr zu heben. In Werden wurde der Westbau der Salvatorkirche und eine neue Kirche außerhalb der Klostermauern vollendet. Gegen Ende des 10. Jahrhunderts entschloss sich Abt Werinbert nochmals zu einem Kirchenneubau. Mehr und mehr begannen die Äbte fürstliche Stellung einzunehmen. Sie umgaben sich mit einem Gefolge Reisiger Dienstmannen, reicher wurde ihre Hofhaltung und die Mönchstafel, aber dann kamen die klösterlichen Reformbestrebungen, und es ging wieder einfacher zu. Mit der strengeren Mönchszucht verband sich ein neuer Aufschwung der Klosterwirtschaft. Eine umsichtige und tatkräftige Verwaltung, besonders unter den Äbten Gerold und Gero (1031—1063) ver-mochte Überschüsse zu erzielen und diese zur Gewinnung von Grundstücken zu verwenden.
Mit dem 11. Jahrhundert hat die Grundherrschaft Werdens ihre größte Ausdehnung erreicht. Sie reichte von der Schelde im östlichen Flandern bis zu den Landen an der mittleren Weser, von den rheinischen Weinbergen in der Nähe der Ahrmündung bis zu den Watten Ostfrieslands; dem mit Werden eng verbundenen Helmstedt gehörte überdies ein ausgedehntes Klostergut von den Vorbergen des Harzes bis hin zur Altmark und dicht vor die Tore Magdeburgs an der Elbe.
Um die Mitte des 12. Jahrhunderts, als Abt Wilhelm ein Heberegister anfertigen ließ, begann indes der riesige Besitz wieder zu zerbröckeln. Über 100 Besitzstücke und zwar zumeist Hufengüter, waren bei 10 von den abteilichen Fronhofsämtern abhanden gekommen, d. h. von Angehörigen dienstmännischen Familien in Beschlag genommen worden. Zu dieser Zeit setzte sich auch immer mehr die Geldwirtschaft an die Stelle der Naturalwirtschaft. Den Abgabepflichtigen des Klosters wurden die Naturalabgaben in Geldleistungen umgewandelt. Das Kloster verkaufte sogar, um Geld zu bekommen, seinen entlegenen friesischen Besitz. Zinsen wurde ja sowieso nur säumig oder gar nicht bezahlt, Erben nahmen ein Gut in Besitz, ohne es nach Recht und Gebrauch vom Abt zu empfangen, oder die Inhaber verfügten über den Bestand eines Gutes, ohne des klösterlichen Eigentums zu achten. Der Abt von Werden geriet überdies selbst in Schulden. Als sich rings um ihn die weltlichen Gewalten der Grafen von Berg, Mark, der Bischöfe von Köln, Münster usw. bildeten, begründete auch Kloster Werden eine kleine selbständige Landeshoheit mit Dienstmannen usw. Anfang des 14. Jahrhunderts musste der Abt aber seine Befugnisse über die mittlerweile im Schatten des Klosters entstandene Stadt Werden mit dem Grafen von der Mark (später ihren Nachfolgern, den Herzögen von Cleve,) teilen, anstelle des abteilichen Stadtvogts trat der vom Grafen von der Mark als Vogt eingesetzte Richter. Die im Laufe der Zeit gewachsene Stellung der Äbte von Werden prägte sich in kirchlicher Beziehung in dem Recht freier Appellation an den römischen Stuhl und Unterstellung unter die päpstliche Jurisdiktion unter ausdrücklicher Exemtion von den Rechten des Metropoliten und des Diözesanbischofs, in staatlicher Beziehung darin aus, dass Werdens Äbte bei allen großen Ereignissen der Reichspolitik (1158 Reichstag auf den Roncalischen Feldern, 1167 in Rom, 1177 in Venedig) zugegen waren. Das war zugleich der Grund für eine Verschuldung der Abtei und für die oben gekennzeichnete Vernachlässigung der Güterwirtschaft. Die klösterliche Reformbewegung des 13. Jahrhunderts und der Machtausgleich zwischen Abt und gräflichem Vogt im Jahre 1317 verursachten ein solideres Regime, mancherlei Schulden wurden beglichen u. die Güterverwaltung wurde besser geordnet. Eine Begleiterscheinung dieser Arbeit wird es sein, dass in den Jahrzehnten nach 1330 noch einmal ein Urkundenbuch angelegt wurde und mehrere Heberegister einzelner Klosterämter verfasst wurden. Auch setzen unter den Äbten Johannes I. und Johannes II. die Lehenregister und die Rechnungsakten ein.
Um 1400 begann indes eine neue Verfallzeit. Das Kloster wurde Unterkunftsstätte für einige wenige Pfründeinhaber vornehmer Herkunft. Die Zahl der Mitglieder des Kapitels ging ständig zurück (1350 ungefähr 15, 1425 9, 1450 5). Kurz vor 1474 bestand das ganze Kapitel nur noch aus Abt, Propst und Küster. Auch der Güterbesitz ging seiner Auflösung entgegen. Öfter wurden nur noch einige Mark oder Goldgulden von einem einstigen Fronhof samt seinem Hofgüterverband gezahlt, der einst Hunderte von Scheffeln Getreide, eine stattliche Anzahl Vieh und zahlreiche verarbeitete Wertgegenstände geliefert hatte. Der Ertrag minderte sich noch, wenn der Wert des Geldes sank. Man suchte sich durch Schuldenmachen und Güterverpfändung zu helfen. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts waren die meisten Abteihöfe und manche anderen Abteirenten verpfändet und versetzt, ebenso die Einkünfte der kleineren Klosterämter. Hausgerät befand sich zu Zeiten beim Juden, Kleinodien, Gegenstände der Rüstung des Abtes, sogar geistliche Bücher wurden versetzt. Auf offener Straße in Werden war Abt Konrad vor Scheltworten und tätlichem Angriff nicht sicher.
In dieser Notzeit, wo die Stiftung St. Ludgeri am Rand des Unterganges war, erfolgte im Zusammenhang mit der vom Kloster Bursfelde bei Göttingen ausgehenden Reformbewegung in den Benediktinerklöstern durch Erzbischof Ruprecht von Köln der rettende energische Eingriff. Er verhängte über Abt und Kapitel die Exkommunikation und gab drei vom Provinzialkapitel bestellten Visitatoren die Vollmacht, gegen die Herren in Werden mit Strafe und Absetzung vorzugehen. Am 27. Mai 1474 wurde die feierliche Reform vorgenommen. Abt, Propst und Thesaurar entsagten ihren Ämtern und 9 Benediktinermönche von auswärts wurden als Mönche und Konventualen in ihre Rechte eingesetzt. An die Spitze der Mönche trat ein Prior, für die Güterverwaltung hatte ein Kellner (das Wort kommt von cellarius und bedeutete Kellermeister. Aufseher der Vorratskammer; in den Städten heißt der Finanzverwalter heute noch Kämmerer) zu sorgen. Eine umfassende Aufnahme des Güterbestandes wurde durchgeführt und in einem großen Urbarbuche schriftlich niedergelegt, dem 1480 auch ein Lehenguterverzeichnis angefügt wurde. Dabei ist es gelungen, den weitaus größten Teil altüberkommener grundherrlicher Rechte zu erhalten.
Da auch in der Folgezeit ein tüchtiges Regiment geführt wurde und das Kloster sich durch ein gute kirchliches Verhalten auszeichnete, konnten die Stürm; der Reformation gut und unschwer überstanden werden. Im Jahre 1573 wurde Heinrich Duden Abt, der ein hervorragender Verwalter des Klostergutes war und noch einmal eine umfassende große Urbaraufnahme in zwei Büchern niederlegte.
Nachdem mit dem Tode des Herzogs Johann Wilhelm von Jülich, Cleve und Mark im Jahre 1609 die Clever ausgestorben waren, entbrannte der Jülich-Clevesche Erbfolgestreit, der damit endete, dass der Kurfürst von Brandenburg Cleve, Mark und Ravensberg erhielt und damit auch Erbvogt des Klosters Werden wurde. Die Äbte erhielten volle Landeshoheit, aber 1802 nahm Preußen das Kloster an Ersatz für an Napoleon abgetretene linksrheinische Besitzteile an sich und durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 erhielt die Säkularisation reichsgesetzliche Bestätigung. Nach fast genau 1000jährigem Bestande war die Stiftung des hl. Ludgerus zu Ende. Als die Freiheitskriege vorbei waren, führte Preußen auch die Ablösung der einzelnen grundherrlichen Gerechtsame durch.

Dle Werdener Urbare

Für die Kenntnis der 1000 Jahre Geschichte des Klosters Werden und seiner Grundherrschaft liegt von den ersten vorbereitenden Maßnahmen des Landerwerbs im Jahre 793 bis zur Ablösung der grundherrlichen Lasten im ersten Drittel des 19. Jahrhun-derts unter der preußischen Verwaltung eine reiche, in keinem Zeitabschnitt völlig versagende Überlieferung in den Werdener Archivalien vor. Diese sind fast vollständig vereinigt im Staatsarchiv in Düsseldorf. Leider fehlt das älteste Cartular, das im Besitz der Universitätsbibliothek in Leyden ist. Es enthält die erste von Bischof Altfrid verfasste vita s. Ludgeri, Urkunden und Klostergutangaben.

Aus dem reichen Archivalienbestand interessieren uns aber für Herne nur die Urbare vom 9.—13. Jahrhundert. Was versteht man nun unter Urbar? Urbare sind Aufzeichnungen beschreibender Art, welche dazu bestimmt sind, zur Kunde des Bestandes einer Grundherrschaft an liegendem Gut und ihrer Gerechtsame zu dienen. Von den Urkunden unterscheiden sie sich durch den Mangel allen formelhaften Beiwerks und der Beglaubigungsmittel, doch fehlt es auch nicht an der Einfügung von Urkunden und Traditions= (d. h. Schenk=) nachrichten. Bei der Angabe der grundherrlichen Bezüge (Abgaben, Dienstleistungen usw.) handelt es sich aber im Gegensatz etwa zu Rechnungsakten nicht um die wirkliche Einnahme, sondern um das Soll. Im Kloster Werden sind viermal große Gesamtaufnahmen des Güterbestandes und ihrer Gerechtsame angefertigt und in Urbaren aufgezeichnet worden: Ende des 9. Jahrhunderts, Mitte des 12. Jahrhunderts, bei der Reform 1474—77 und unter Abt Heinrich Duden im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts. Neben den großen Urbaren gibt es kleinere, Urbarialien, deren wichtigste die Heberegister sind. Sie sind dazu bestimmt, als Grundlage für die Hebung der dem Grundherrn zustehenden Gefälle zu dienen. Sie enthalten demnach, wenn sie vollständig sind, die Namen der Pflichtigen, nähere Angaben über die Güter und Grundstücke, mit denen diese beliehen sind, und den Sollbetrag der Bezüge, die sie dem Grundherrn zu liefern schuldig sind.
Die älteste Urbarhandschrift (auch Handschrift A genannt), das ist diejenige, in der Haranni und viele heute noch bestehende Orte in Rheinland und Westfalen, im Emsland, in Friesland und Holland erwähnt sind, besteht aus 40 Blättern in Pergament, die zu 6 Lagen in einem Stück starken Hirschleders roh zusammengeheftet sind. Auf dem Deckel steht ein schwarzes Kreuz und darüber die jahrhundertealte Aufschrift Abbatiae prepositure. Geschrieben ist die Handschrift von mehreren Händen. Nach den verschiedenen Teilen der Handschrift unterscheidet man: das Grundbuch (anhebend mit der Schenkung Folkers 855), Register über Grundbesitz in Franken, im Rhein-mündungsgebiet, in Westfriesland und Westfalen (A1), das ostfriesische Register (A2), das westfälische Heberegister(A3) und das Heberegister für Westfalen und Niederland (A4). Das westfälische Heberegister (A3), in dem die Haranni=Stelle steht, ist der älteste Teil dieses Urbars. Das geht nicht nur aus den Merkmalen der Schrift hervor, in der dieser Teil geschrieben ist, sondern auch aus dem Inhalt im Vergleich mit dem Anfangsteil des Urbars. A3 stellt nämlich bei der Behandlung des Osnabrücker Landes den Zustand vor der Verwüstung durch die Normannen (diese geschah besonders 884 und 885, nach 892 war dauernd Ruhe) dar, A1 dagegen nach der Verwüstung. Danach ist A3, d. h. das westfälische Heberegister, und damit die Erwähnung Harannis um 880-890 anzusetzen. Von den übrigen Teilen der Urbarhandschrift A gehört auch noch ein Stück von A2 der Zeit von A3 an, während allesübrige im ersten und zweiten Drittel des 10. Jahrhunderts entstanden ist. A4 zum Beispiel ist als Ergänzung zu A1 bestimmt und muss wenigstens ein Menschenalter jünger sein.
Die zweite Urbarial Handschrift (B) besteht aus 30 Pergamentblättern und stellt eine Ergänzung zum Urbar A dar. Sie enthält 5 Lagen (B1—B5), deren älteste, B2. Ende des 10. Jahrhunderts entstanden ist. Die übrigen Teile entstammen dem Anfang und der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts.
Die dritte Urbarial Handschrift, aus 12 Pergamentblättern bestehend, wird von Kötzschke den Jahren 1050—1064 zugewiesen. Dann kommt
Das große Privilegienbuch (liber privilegiorum maior monasteri Werdinensis), das aus 8 Lagen besteht und in 3 Hauptgruppen zerfällt. Die erste Hauptgruppe (5 Lagen), ein Cartular, das vielfach mit dem ältesten in Leyden aufbewahrten Cartular übereinstimmt, ist 1149/50 entstanden, die zweite Hauptgruppe, ein Heberegister des Helmstedter Klostergutes, und die dritte, ein Heberegister des Werdener Abteigutes im engeren Sinne (d. h. nur für den Abt Gefälle abwerfendes Gut), entstammen dem Jahre 1160. Dies sind die Handschriften, die für die Behandlung des im Herner Gebiet und der nächsten Umgegend gelegenen Klosterbesitzes bzw. der Abgabepflichtigen und ihrer Abgaben hauptsächlich in Frage kommen. Ihre Auswertung erfolgt im 2. Teil des Aufsatzes.

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Quellen

  1. Vgl. Online Quelle auf Zeitpunkt.NRW
  2. Rudolf Kötzschke (Hrsg.): Die Urbare der Abtei Werden a. d. Ruhr (= Publikationen der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde XX: Rheinische Urbare).
    Bd. 2: A. Die Urbare vom 9.-13. Jahrhundert. Hrsg. von Rudolf Kötzschke, Bonn 1908, Nachdruck Düsseldorf 1978,
    Bd. 3: B. Lagerbücher, Hebe- und Zinsregister vom 14. bis ins 17. Jahrhundert, Bonn 1908, Nachdruck Düsseldorf 1978,
    Bd. 4,I: Einleitung und Register. I. Namenregister. Hrsg. von Fritz Körholz, Düsseldorf 1978, Bd. 4,II: Einleitung, Kapitel IV: Die Wirtschaftsverfassung und Verwaltung der Großgrundherrschaft Werden. Sachregister. Hrsg. von Rudolf Kötzschke, Bonn 1958.