Festlegung der Familiennamen jüdischer Einwohner Hernes und Eickels 1846 - 1848
In der Zeit um 1806, als sich die ersten jüdischen Familien in Herne und Eickel niederließen, behielten sie die tradierte jüdische Namensgebung zunächst bei. Der Name wurde aus zwei Vornamen gebildet. Der zweite war stets der Vorname des Vaters. Der erste Herner Metzger hieß Salomon Salomon = Salomon ben (also Sohn des) Salomon. Einer seiner Söhne hieß Meier Salomon, also Meier, Sohn des Salomon. Dessen ältester Sohn hieß mit Synagogennamen Salomon Meier. Diese Art der Namensgebung war für die preußische Verwaltung äußerst unbefriedigend. 1812 erließ Friedrich Wilhelm III. ein "Edikt, betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate". Darin erhalten die jüdischen Gläubigen die preußische Staatsbürgerschaft unter der ersten Bedingung, "daß sie fest bestimmte Familien-Namen führen". Frankreich, Österreich und einige Gebiete Süddeutschlands hatten schon früher derartige Regelungen erlassen. Bei später nach Herne und Wanne-Eickel ziehenden Juden war der feste Familienname zum Teil schon vor Generationen angenommen worden (z.B. Gans, Baum, Windmüller).
An den beiden ersten jüdischen Familien in Herne und Eickel ging diese Entwicklung allerdings lange vorbei. Auch das Namensgesetz vom 31. März 1808 des von Napoleon I. gegründeten Königreichs Westfalen hatte im hiesigen Raum des Großherzogtums Berg keine Anwendung gefunden. Als 1813 das Königreich Westfalen aufhörte zu existieren, waren die preußischen Gesetze von 1812 nicht gültig, und die französischen Gesetze waren nicht befolgt worden, da die alte Obrigkeit die Juden in einem Sonderstatus belassen wollte. So dauerte es über drei Jahrzehnte, bis im Raum des heutigen Herne eine Namensfestlegung erfolgte. Unterdessen gaben Städte wie Unna, Bochum oder Lüdinghausen eigene Regelungen heraus. Im Oktober 1845 griffen die preußischen Behörden das Problem wieder auf. Inzwischen lebten vier jüdische Familien in Herne und Eickel, die weiter die jüdische Namenstradition beibehalten hatten. Im Januar 1846 erhielt der Herner Amtmann Hollweg ein Schreiben des Bochumer Landrates, in dem er aufgefordert wurde, binnen zwei Monaten dafür zu sorgen, dass die jüdischen Familien feste Familiennamen annahmen. Dabei sollte so vorgegangen werden, "daß von keinem Juden ein Vorname, ein Ortsname oder ein schon vorhandener Name bekannter Familien als Familien-Name angenommen werden darf, und alle Glieder einer Familie, die durch den Synagogen-Vorsteher p.p. genau zu ermitteln sind, den von dem Familien-Haupte oder von dem ältesten der Geschwister in Vorschlag gebrachten Familien-Name, wenn er sich zur Annahme eignet, annehmen und führen müssen". Was nun folgte, kann zu den komödienreifen Kabinettstücken preußisch-westfälischer Verwaltungsgeschichte gezählt werden.
Zuerst ließ Hollweg den Herner Metzger Salomon kommen, klärte ihn über die "Allerhöchste Kabinet-Order" auf und fragte nach dem zukünftigen Familiennamen. Getreu preußischer Anordnung wurde der Name "Münchhausen" notiert, da der ältere Bruder diesen Familiennamen schon vor über dreißig Jahren angenommen hatte. Von den Juden in Eickel wurde zuerst der Schneider Moses Abraham geladen. "Nach geschehener Hinweisung" auf die besagte Order erklärte er, "daß er den von seinem in Mülheim a. d. Ruhr wohnenden Vater gewählten Familiennamen "Moses" fortan auch führen werde." Als nächster erschien der Metzger Leser Moses, der sich als erster Jude in Eickel niedergelassen hatte. Er erklärte, den Namen "Moses" als erblichen Familiennamen beizubehalten. Zuletzt erschien eine Woche später sein Sohn Herz Leser und gab zu Protokoll, daß "er keine Gründe habe, die Annahme des von seinem Vater gewählten Familiennamen "Moses" abzulehnen und daß er daher bereit sei, diesen Namen für sich und seine Kinder, deren er bis jetzt drei im minderjährigen Alter habe, als festen erblichen Familiennamen zu führen". So schickte Hollweg das angefertigte Verzeichniss an den Landrat zu Bochum mit der Bemerkung: "Gegen die gewählten Familiennamen dürfte meines Erachtens nichts zu erinnern sein."
Einige Tage später erhielt der Amtmann die Liste zurück mit dem Befremden des Landrats über den Namen "Münchhausen". Der Landrat schlug vor, Salomon Salomon solle doch "Salomon" als Familiennamen führen. Dieser sei auch damit einverstanden. Im Antwortschreiben vom 26. März 1846 an den Landrat von der Recke beharrte Hollweg allerdings darauf, dass er und nicht sein Vorgesetzter die Vorschriften der Namensgebung korrekt angewandt hatte. "Der Name Münchhausen war deshalb gewählt, weil derselbe schon früher von dem älteren Bruder angenommen worden, und die höheren Bestimmungen vorschreiben, daß die jüngeren Familienmitglieder den, von dem Ältesten angenommenen Namen ebenfalls zu führen gehalten seien, wenn keine besonderen Gründe hingegen vorliegen. Ich hatte geglaubt, von dieser Bestimmung nicht abgehen zu können". Hollweg fügte nun noch eine Beglaubigung des Namens "Münchhausen" bei, die der Amtmann aus Warburg übersandt hatte. Hier bricht der Briefwechsel ab. Der Namensgebungsprozess lief allerdings weiter.
Im offiziellen Schriftverkehr wurde Salomon Münchhausen nun wieder zu Salomon Salomon, doch war die Verwendung dieses Familiennamens nicht von langer Dauer. Auch die anderen drei Familien mit dem Namen "Moses" konnten ihren Namen nicht behalten. Am 2. November 1846 empfingen die vier Familienoberhäupter die Bescheinigungen der Arnsberger Regierung über die neuen Familiennamen, deren Entgegennahme mit den neuen Signaturen quittiert wurde. Aus "Salomon" war nun "Hellwitz" geworden. Die Gründe für die Wahl des Namens sind nicht dokumentiert. Es kann nur vermutet werden, dass die Familie mit Lazarus Wolf Herz verwandt war, der schon am 4. März 1809 im "Paderbornschen Intelligenzblatt" mitgeteilt hatte, dass er nun Lazarus Wolf Helwitz heiße. Moses Abraham - kurzzeitig Moses Moses - unterschrieb mit M. Thalmann. Der Name ist wahrscheinlich eine Herkunftsbezeichnung, wobei allerdings nicht angegeben werden kann, welcher Ort "Thal" gemeint ist. In Deutschland, Österreich und der Schweiz tragen mehrere Städte und Dörfer den Namen "Thal". "Zahlreiche westfälische Juden nahmen die Gelegenheit wahr, ihre Herkunft und Abstammung durch ausländische Ortsnamen zu dokumentieren". Leser Moses unterschrieb mit Moses Leser und sein Sohn mit Herz Leser. Hierin zeigt sich ein typisches Beispiel für das "Einfrieren" von Vornamen als erbliche Familiennamen. Das "Einfrieren" war eigentlich die einfachste Art der Namenswahl und geschah dadurch, dass die Familienoberhäupter den Namen, den sie zu dem Zeitpunkt zufällig trugen, zu ihrem beständigen Namen machten. Der Name Leser ist so in der Form Leeser bei ehemaligen Wanner Familien bis heute gebräuchlich.
Die Namensgebung war damit noch nicht voll abgeschlossen. Der Name "Helwitz" wurde ab 1848 "Hellwitz" geschrieben. Aus Moses Leser wurde Leser Leser, da er vor 1846 Leser Moses hieß und deshalb Leser als eigentlicher Vorname vom Amtmann angesehen wurde.
Bei allen diesen Umbenennungen ist zu sehen, dass die jüdische Bevölkerung feste Familiennamen als Zeichen der Assimilierung gerne annahm. In der Restaurationszeit nach 1815 hatte die hiesige Obrigkeit kein Interesse daran, die Annahme fester Familiennamen durch Juden zu fordern. Im religiösen Bereich wurden und werden die traditionellen Namen jedoch weiter verwandt, zum Beispiel bei Hochzeit, Scheidung oder Konfirmation (Bar Mizwa). Die Namensgebung in den 1840er Jahren war ein wichtiger Schritt zur Emanzipation der jüdischen Bevölkerung im westlichen Westfalen. In den gleichen Jahren wurde diese Religionsgruppe in der Gesetzgebung Uber die Militärpflicht gleichgestellt, wofür ein einheitliches Namensrecht auch notwendig gewesen ist. Verwaltungstechnisch war die Verordnung Nr. 2632 vom 20. November 1845 kein Erfolg, wenn man das Ziel der Vereinheitlichung als Maßstab nimmt. So führten von 1848 an zum Beispiel drei Brüder verschiedene Familiennamen. Der älteste Bruder in Warburg hieß nun Münchhausen, der Zweitälteste in Bremen Salomon und der jüngste in Herne Hellwitz. [1]
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Quellen
Sie werden nicht vergessen sein - Geschichte der Juden in Herne und Wanne-Eickel (Ausstellungsdokumentation), Herausgeber: Der Oberstadtdirektor der Stadt Herne, 1987
- ↑ Kurt Tohermes 1987, in: Sie werden nicht vergessen sein, S. 9-13