Die Aufteilung der Riemker Vöde (1775) (Reiners 1935)
Am 15. Juni 1935 veröffentlichte Leo Reiners im Herner Anzeiger ein Artikel über die Teilung der Riemker Vöde . [1]
Die Aufteilung der Riemker Voede (1775)
Hernes Auseinandersetzung mit den Berger Bauern.- Besondere Berücksichtigung der kleinen Leute in Herne.- Friedrich der Große persönlich beteiligt.
„Die Voede“ ist noch heute in Herne eine allgemein gebräuchliche Bezeichnung für den Teil des südlichen Herne, der an der „Voedestraße“ liegt. Es gab früher in Herne mehrere Voeden. Die bedeutendste war indes die im südlichen Herne, die die Riemker Voede genannt wurde. Unter Voeden (von vehuda— Viehhütung, Viehweide), verstand man Gemeinheits-Weideland, das allen Gemeindeeingesessenen bzw. später einem großen Teil von ihnen gemeinsam gehörte. Ihnen entsprachen die Marken als Gemeinheitswälder. Die Voeden und Marken gehen auf die altgermanische Zeit zurück. Die ersten Ansiedler hatten Wohnhaus, Stallung und Garten als Privateigentum, am Ackerland dagegen hatten sie Nutzungsrecht. Es wurde periodisch an die Dorfschaft neu verteilt. Daneben waren die Heide-, Sumpf-, Ödland-, Wald- und Weidedistrikte nicht in Parzellen aufgeteilt, sondern in gemeinschaftlichem Besitz und gemeinschaftlicher Nutzung. Vor allem waren von Bedeutung die nutzbaren Wald- und Weidegebiete, bei uns Marken und Voeden genannt. Mit der Zeit wurden die Ackerparzellen Privateigentum, der Gemeinheitscharakter der Marken und Voeden blieb jedoch (teilweise bis ins 19. Jahrhundert). Neu hinzukommende Ansiedler erhielten daran ein Mithude-, aber kein Mitbesitzrecht, konnten auch wohl Teile davon pachten. Die Weiden wurden meist in drei- oder fünfjährigem Wechsel genutzt, d. h. ein Teil war drei oder fünf Jahre lang Gemeinschaftsweide, während der andere Teil brach liegen blieb und nur den Grasschnitt lieferte oder aber bebaut wurde. Die Bebauung war das Recht einzelner meist nur teilweise zur zur Mithude Berechtigter oder gelegentlich sogar eines einzelnen. Die Zeit der gemeinschaftlichen Hude nannte man „nutzbare“ oder „Weide-Periode“, die Brach- oder Bebauungszeit „Acker- oder Trageperiode“.
Es gab auch Gemeinheitsdistrikte, die den Eingesessenen mehrerer benachbarter Gemeinden gehörten. So war die Herner Mark Eigentum der Herner, Hiltroper und Berger, die Riemker Voede Eigentum der Herner, Berger und Riemker Eingesessenen. Über ihre Ausdehnung und Grenzen haben wir eine genaue Beschreibung bisher nicht finden können, sicher ist aber, dass sie sowohl auf Herner wie auf Riemker Gebiet lag. In der Katasterurkarte von Herne wird das Gebiet nördlich der Vöde- und westlich der Flottmannstraße als Riemker Vöde bezeichnet. Wahrscheinlich fing sie bei der Flottmannstraße an und erstreckte sich in großer Ausdehnung über die heutige Bochumer bzw. Herner Straße hinüber bis in die Nähe der Wanne-Eickeler Gemeindegrenze. Ebenso wenig wie über die Grenzen haben wir genaue Unterlagen über die Rechte und Pflichten der Vödegenossen. Wohl ist ein Aktenstück erhalten, das die Beendigung des Gemeinheitscharakters der Riemker Voede und ihre Aufteilung an die Interessenten behandelt. Es findet sich im Geheimen Staatsarchiv in Berlin (Tit. CIXXVIII Gemeinheiten und deren Teilung Nr. 38), ist 35 Blätter stark und betitelt: „Acta betr. die wegen des zwischen den Bauerschaften Riemecke und Herne und der Bauerschaft Berge, behuefs der Theilung der Riemecker Vöhde, getroffenen Vergleichs, ertheilte Approbation.“ Das Aktenstück, dem umfangreiche Akten schon voraufgegangen sein müssen, beginnt mit dem Protokoll über den Vergleichstermin vom 27. Oktober 1775, das wir in Abschrift auch unter den Masthoffschen Papieren gefunden haben. Nach diesem Protokoll wurde „vermöge allergnädigsten Commissorii“ Termin zum Versuch eines Vergleichs zwischen den Herner und Riemker Voedegenossen auf der einen und den drei Berger Bauern Schulte, Grüter und Rötger (= Diederich) auf der anderen Seite bei dem Schulten zu Berge anberaumt. Daraus geht hervor, dass sich die Herner und Riemker Vödegenossen einig waren, dass aber die drei Riemker Bauern Forderungen stellten, die die andern(wie wir sehen werden, waren es die Herner) nicht anerkennen wollten. Die Pächter, besonders die nicht anerkennen wollten. Die Pächter waren zugleich aufgefordert worden, ihren Gutsherren Nachricht von Termin zu geben, damit sie ihm in Person oder durch Vollmachterteilung an die Pächter beiwohnten. Die drei „Herren von Adel, so denen drey Bergischen güther zuständig", waren sogar „mittelst abgeschickter Briefe zu diesen actu eingeladen“ worden. Von den Berger Bauern gehörte nämlich der Hof Schulte nach Bladenhorst, Grüter nach Dorneburg und Diederich nach Gysenberg. Der Schulte zu Berge hatte sich nun die Abhaltung des Termins an seinem Hause schriftlich verbeten, daher begab sich die Kommission (zum Teilungskommissar war der Landrichter Bölling in Bochum bestellt; dessen Beauftragter war der Kriegskommissar Mertens) zuerst zum Gegenstand des Streites, der Riemker Vöde, wo besonders der „Fußpfad, so von Herne auf Bochum führet (die heutige Zillertalstraße?), wovon in actis vieles enthalten“, in Augenschein genommen wurde. Von seiten Hernes wurde nämlich behauptet, die Berger Eingesessenen hätten sich nicht weiter mit ihrer Viehhude als bis zu diesem Fußwege ausbreiten dürfen. Auch erstrecke sich die Herner Mark „von einer bezeichneten Ecke biß quer über den Weide Grund nach einem daselbst angebauten Kötter, mithin wäre es den Berger Bauren als Interessentes der Herner Marck erlaubt gewesen, ihr Rindvieh auf solchen abschnitt mit zu hüten, woher dann entstanden, daß solches Vieh auf der Vöde sich weiter ausgebreitet, und ohne würckliches Recht prätendiren (beanspruchen) zu können, die gante mithude in anspruch genommen, mithin dieses auf solche Art acquirirte (erworbene) Jus Compascui (Mithütungsrecht) bey der Vorseyenden Theilung als ein Recht, so den Güthern anklebte, auf eine unrechtmäßige Arth geltend zu machen, intendirten (= beabsichtigten)". Die Kommission stellt aber fest: „Der eingenommene Augenschein beweiset nicht, daß das Suppositum (Unterstellte) der Herner in dem Betracht einigen Grund haben könnte, daß der Herner Marcken Grund sich zu dem angewiesenen Distrikt nach der Hudschaft ausbreiten, und dieses veranlaßet haben sollte, daß die Viehhudschaft dadurch weiter extendiret (ausgebreitet) worden, indem die Herner Marck gantz offen, so daß das darinn weidende Vieh ohnehin einen freyen Zugang nach der Voede von jeher gehabt hat und noch hat, folglich hat die Ocular Inspection (die Besichtigung) kein mehreres Licht in der Sache geben können.“ Die Kommission hat daher die Akten angezogen und stellt fest: „Was nun die in der Sache verhandelte, und der Kommission mit zugestellte Acta betreffen, so gehet daraus, und zwar vornehmlich aus dem weitläuftig abgehaltenen zeugen Verhör, ganß deutlich herfür, daß denen drey Bauren in Berge das Mithütungs Recht, mit ihrem güsten (= nicht milchgebenden) Rindvieh, so auch mit den Schweinen, in keine Weege abgesprochen werden kann, obwohl an Seiten der Herner Eingesessenen nach wie vor auf die Deferirung (Zuschiebung) eines Körperlichen Eides provociret, und dahin angetragen wird, daß die drey Berger Bauern per Juramentum (durch Eid) Praetens um (ihren Anspruch) näher bestättigen sollten, welches Mittel jedoch die praetendirte Mitberechtigkeit in Kein größeres Licht stellen würde, als in actis würcklich enthalten, überdem solches Gesuch, in Rücksicht derer in so ferne vollschriebenen Acten gantz übertrieben zu seyn scheinet, indem Vielmehr auf eine solche Eidesleistung gleich im Anfang angetragen, und dadurch das weitläufigte [Schreibwerk hätte verhütet werden müssen.“ Daher hat die Kommission beschlossen, den Contributionsstand, d. h. die Beisteuerhöhe sämtlicher Interessenten aufzunehmen und zur Grundlage der Teilung zu machen. Der Steuerrezeptor Kipp von Herne hat die Liste über den Contributionsstand aufgestellt und der Kommission zugestellt (sie schließt mit 14 rt. 1½ stb. monatlicher Schatzung ab, doch sind darin 9 stb. von Georg Overkamp enthalten, die bei der Riemker Bauerschaft nochmals vorkommen), der Bochumer Rezeptor Grollmann hat die Liste jedoch nicht aufgestellt, so daß die Riemker und Berger Eingesessenen persönlich vernommen werden müssen. Über diese Vernehmung heißt es im Protokoll:
„Die aus Riemcke erschienene drey Deputirte Nahmens 1. Stemberg, 2. Ostermann und 3. Wegemann versicheren, daß sie von der ganten Bauerschaft zu Deputirte in dieser TheilungsSache schriftlich bevollmächtigt worden, auf Erfragen was die auf der Riemcker Voede berechtigte Contribuable monatlich an ordinairer Schatzung zu Bezahlen hätten, versicherten (sie,) das der monatl. Ertrag 24 ri. 39 stb. seye, wornach ein Bauerschafts Kötter den die freye Viehhude mit accordiret(verabredet) worden, hinzukäme, sodann wohnete auch noch einer Nahmens Feldhege noch an der Voede, so eigentlich zum Gericht Eickel gehörig, welcher ebenfalß zur Hude mit berechtigt, und Mohnatlich zum Contingent 37½ stb. zu bezahlen hätte. Der Schultze zu Berge kontribuiret monatl. 4 rt. 9½ stb., Rötger 2 rt. 36 stb., Grüter 2 rt. 40½ stb., Sa. 9 rt. 26 stb.“
Soweit war die Unterlage der Teilung geklärt. Auf Herne entfielen 14 rt. 1¼ stb., auf Riemke 24 rt. 39 stb., auf die drei Berger Bauern 9 rt. 26 stb. Anteil. Da aber in Riemke und Berge die steuerstarken Bauern wohnten, wäre auf sie ein sehr großer Anteil, auf die zahlreichen Herner kleinen Leute aber ein unerträglich kleiner Anteil an dem Voededistrikt entfallen. Daher bestimmt die Kommission: „Wann aber nach denen bey Theilung der Gemeinheiten angenommenen Grundsätzen die geringen Kötter nicht nach dem Contributions Fuße eingetheilet werden können, weilen sonsten Viele geringe Leuthe völlig außer Stand gesetzet würden, die onera publica (öffentlichen Lasten) abtragen zu können, überdem ein Communitaet (Gemeinde) ohne geringe Einwohner schlechterdings nicht bestehen kann, diese aber ohne Viehzucht gar nicht subsistiren (auskommen) Können, weshalb auch dem geringen Stande von je her, die Fryheit gegeben, so viel Vieh auf die gemeine Hude zu treiben, als Sie auszufuttern im Stande, mithin die große (die Masthoffsche Abschrift hat „größere") Anzahl in Herne auf eine gang billige (im Sinne von recht und billig) Arth in ihrem Contingent verhöhet werden müssen, so wird der Contributions Fuß für die Bauerschaft Herne wenigstens bis zu 19 rt. vergrößert, und daraus hergeleitet, daß diese Dorfschaft bey der Theilung, folglich auch bey der jetzo zu formirenden Proposition (Vorschlag) zu einem gütlichen Arrangement, vorzüglich in Attention genommen werden müße"(d. h. sie besonders berücksichtigt werden müsse).
Nunmehr folgt der Vergleichsvorschlag der Kommission. Sie schlägt vor, den drei Berger Bauern 5 Morgen abzutreten. Die Riemker Bauerschaft habe sich ja schon laut Protokoll vom 10. Juni 1775 bereit erklärt, bis zu 4 Morgen Anteil zu bewilligen. Die Erschienenen erklären nunmehr einhellig, den Vorschlag annehmen zu wollen, aber nur in Höhe von 4 Morgen. Die drei Berger Bauern erklären, „um mit ihren Nachbahren in Fried und Einigkeit fernerhin leben zu können, daß sie mit 4 ½ Morgen friedig seyn wollten, jedoch müsten mit Ausschließung des geringen Weide-Grundes, so nicht zur Mark und Voede Vermeßen, oben an der gedachten Mark läge, RB und den Berger Hofe bliebe, solchen verglichenen District nach der so genannten Arth oben bey der obgedachten Herner Marck abgemeßen werden, wo die Riemcker Voede nach der davon verfertigten Karte (sie liegt leider den Akten nicht bei) ihren Anfang oder Ende nimmt.“
Auf dieser Basis erfolgt nunmehr die Einigung. Zuerst unterschreiben Schulte zu Berge, Rötger zu Berge und Henrich Grüter, dann „mit Vorbehalt, daß die übrigen Interessenten in Riemcke auch mit consentiren“, die Riemker Deputierten Ostermann, Stemberg Heinrich und für den Schreibens unerfahrenen Wegmann, Johann Henrich Köster. Es folgen die Unterschriften der Herner Interessenten: Georg Overkamp alß der größte Contribuent, Geora Overkamp alß der größte (die Masthoffsche Abschrift hat „alß größerer“) Contribuent, Joh. Henrich Köster, Henrich Düngelmann, Jörgen Schlingelmann, Jörgen Verder (Vedder), Jörgen Claes, Henrich Plencker, Jörgen Jäger, Wittib Masthoff, Röttger Althoff, Johann Henrich Flasche, Tröscken, Henrich Köhlhoff, Christoffen Marckmann, Caspar Altstede.
Der Kommissar Mertens hat dann angefügt: Dieser Numehro Völlig gethätigter, auch von denen Interessentibus eigenhandig unterzeichneten Vergleich, wird von Commissions wegen hierdurch bestättiget, und soll mit erner post, zur allerhöchsten Ratification allerunterthänigst eingesandt werden.
Auf der Berliner Abschrift steht noch: „Vorstehender Vergleich wird in Ansehung meines Schulten Hofes zu Berge von mir hiermit völlig genehmiget. Cleve, d. 12. Jan. 1776 C A von Romberg.“ Aus einer Aufstellung der Kommission über Gebühren und bare Auslagen geht hervor, daß auch Herr von Boenen (für Grüter) die Approbation erteilt hat.
Nun ist der Vergleich nach Berlin zum König Friedrich dem Großen gegangen, damit er ihn genehmige. (So wichtig war eine solche Gemeinheitsteilung!) Unter dem 20. Februar 1776 erfolgt auch die Approbation durch den König, „um die Verteilung der Riemcker Voede baldigst zustande zu bringen.“
Am 15. Dezember 1776 berichtet dann die Märkische Krieges- und Domainen Kammer Deputation in Hamm an den König über den weiteren Verlauf der Sache. „Nachdem der König, so heißt es darin, die (pecialiter Verteilung der Riemker Voede befohlen hat, ist diese jetzt zur Zufriedenheit der Interessenten zustandegekommen. Die Riemker Voede enthält nach Abzug des durch jenen Vergleich der Bauerschaft Berge abgetretenen quanti (das sind die 4 ½ Morgen) an Fläche 127 holländische Morgen 421 ½ Quadratruten. Diese ist zuförderst generaliter zwischen beide Bauerschaften Riemke und Herne mittelst Vergleichs vom 24. Juni c. dergestalt geteilt, daß Riemke 65½ holländische Morgen und Herne 61 ½ holländische Morgen erhalten, jedoch Riemke der zu keiner von beiden Bauerschaften gehörige Colonus Feldegge zugesetzt, die übrigen 421½ Quadratruten aber zu aequivalentirung (Ausgleich) der Schaafhuhde berechtigen der Bauerschaft Herne ausgesetzt worden. Nach zustandegekommener dieser generellen Teilung ist man zur speciellen Teilung vorgeschritten und ist der Hernsche Anteil nach dem Contributions Fuß, jedoch mit einer Erhöhung für die geringe Contribuenten, der Riemckische Anteil aber nach der fol. actor(um) 25 befindlichen Classifikation(nicht vorhanden) specialiter verteilt, auch die wegen der Schafshude besonders berechtigten Hernischen Eingesessenen als 1. Dieter. Overkamp mit 210 ½ Ruten und 2. Caver Overkamp und Düngelmann jeder mit 105% Quadratruten aequivalentirt worden, momit auch diese völlig zufrieden sind.“
Es waren indes auch Leute da, die nicht mit dem Vergleich zufrieden waren, besonders die Witwe Dieterich Overkamp und der Küster Rembert. Was vor allem der letztere bis zum Jahre 1786 noch alles ausgestellt hat, darauf werden wir in einem Schlußbericht zurückkommen.
Dr. L. Reiners.
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