Das Niederdeutsche Hallenhaus (Voorwold-Halstrick)

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

EMSCHERTAL - MUSEUM HERNE SCHLOSS STRÜNKEDE

Skizze des niederdeutschen Hallenhauses

DAS NIEDERDEUTSCHE HALLENHAUS

Von Dorothea Voorwold-Halstrick

Mit Beginn der Jungsteinzeit, vor etwa 6000 Jahren, fing der Mensch an, Landwirtschaft zu betreiben. Er pflanzte Getreide an und betrieb Viehzucht.

In der frühen Eisenzeit, um 500 v. Chr., ließ das feuchtkühle Klima des Subatlantikums den Getreideanbau stark zurückgehen. Auf günstig gewählten Dauerfeldern wurden die Pflanzen nun sorgsam gepflegt. Das Vieh wurde im Winter aufgestallt und gefüttert. Der dabei anfallende Dung wurde für die Felder genutzt. Im Sommer wurde das Vieh in die Auenwälder getrieben. Gleichzeitig wurde dort Heu für den Winter gemäht. So wurden diese Flächen allmählich zu Wiesen, der zweiten gepflegten Wirtschaftsfläche neben den Ackern.

In dieser Zeit kamen fast überall in Nordwesteuropa dreischiffige, von zwei Pfostenreihen getragene Hallenhäuser auf. Sie vereinten übersichtlich eine der beiden neuen Hauptaufgaben des bäuerlichen Wohnplatzes, das Aufstellen des Viehs, mit dem Wohnen des Menschen. Diese Pfostenhäuser hielten wohl selten länger als 50 Jahre, da die Pfosten in der durchlüfteten oberen Bodenschicht bald anfingen zu faulen. Mit dem Übergang vom Pfosten- zum Ständerbau - vom 10. bis zum 14. Jahrhundert - wurde auch die Bergung der Ernte mit in das Haus einbezogen. Hiermit war das Einhaus entstanden, das die Hauptfunktionen des bäuerlichen Lebens unter einem Dach vereinte: Erntebergung, Stallung, Wohnung und die wichtigsten Binnenarbeiten. In diesem Hallenhaus hatten der Bauer und die Bäuerin die Möglichkeit, Menschen. Tiere und Dinge ständig zu beaufsichtigen.

Das niederdeutsche Hallenhaus ist als Gerüstbau zu bezeichnen, da das Dach nicht von den Seitenwänden, sondern von einem inneren Gerüst getragen wurde. Gleichzeitig trug dieses Gerüst auch die Last der Ernte im Dachraum. Das Dach selbst war als Sparrendach ohne Luken und Aufbauten konstruiert.

In Anlehnung an die Vorgängerbauten, die Pfostenhäuser, wurden zunächst Zweiständerbauten errichtet. Hierbei trugen die Dielenständer die Hauptlast des hohen Satteldaches. Die Seitenwände hatten keine tragende Funktion, sie dienten nur als Abschluß.

Die tragenden Stützen standen jetzt auf Fundamentsteinen oder untermauerten Schwellen. Vor Bodennässe geschützt konnten die Häuser so durchschnittlich 300 Jahre überdauern. Da Neubauten daher immer seltener wurden, schrumpfte die Erfahrung der Bauern auf diesem Gebiet, und es setzte sich immer mehr das berufsmäßige Zimmerhandwerk durch.

Seit dem 17. Jahrhundert baute man dann Dreiständer- und mehr noch Vierständerhäuser. Die Erntelast im Dach wurde nun auf mehrere Ständerreihen verteilt und konnte so vergrößert werden.

Vergleich der Zweiständer-, Dreiständer und Vierständervariante des Fachhallenhauses [1]

Das Haus entstand in 4 Abschnitten: Der erste Schritt war das Zurichten des Holzes für das Ständergerüst. Auf dem Bauplatz folgte dann der Abbund, das Zusammenfügen von Einheiten, was ursprünglich wohl ein Zusammenbinden war. Beim Hausrichten mußten viele Helfer zugreifen, um die schweren Gefügeeinheiten zu errichten. Hieraus entstand dann das Richtfest. Als letzter Schritt erfolgte das Decken und Ausfachen des Hauses. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Dach mit Stroh gedeckt, erst dann ging man zum Dachziegel über. Das Ausfachen geschah ursprünglich, indem die Gefache mit luftgetrockneten Lehmklumpen gefüllt oder mit Reisiggeflecht versehen und mit Stroh-Lehm-Gemisch beworfen wurden: später wurden die Gefache mit Ziegelsteinen ausgemauert.

Der Innenraum war in der Längsrichtung durch zwei Ständerreihen gegliedert. In dem dreischiffigen Stallteil war das Vieh in den Seiten mit dem Kopf zur Deele untergebracht. Das Mittelschiff - Deele oder Diele genannt - diente als Arbeitsplatz. Das Ende der Mittellängsdiele bildete das große Giebeleinfahrtstor, das meist nach Osten gerichtet war, um die Morgensonne für die Arbeit auszunutzen. Am anderen Ende der Deele lag das Flett mit der Herdstelle. Zusammen mit den beiden Nischen (Luchten) stellte es den Wohnplatz dar. Der Fußboden bestand im Stallteil aus gestampftem Lehm, im Flett war er entweder nur im Bereich der Herdstelle oder manchmal auch vollständig mit Steinen oder Ziegeln belegt. Der Dachraum nahm die Ernte auf.

Der Keller bestand in den meisten Fällen nur aus einem Raum neben der Küche. Er lag mit seinem Boden einige Stufen unter dem Niveau des Hauses, mit seiner Decke auf halber Höhe des Erdgeschosses. Darüber lag die Aufkammer, die über eine Treppe zugänglich gemacht wurde. Je nach Größe und Höhe wurde dieser Raum als Vorrats- oder Schlafkammer genutzt. Die Erhöhung der Aufkammer gab die Anregung zur Errichtung eines zweiten Stockwerkes im Wohnteil.

Im Flett, gegenüber dem Giebeleinfahrtstor, lag das offene Feuer, dessen aufsteigende Wärme und Rauch frei in das Haus abzogen, da die westfälischen Häuser teilweise noch bis ins 18. Jahrhundert ohne Schornstein errichtet wurden. Wärme und Rauch trockneten den im Dachraum lagernden Erntestapel, gleichzeitig beizte der Rauch das Korn, vertrieb das Ungeziefer und konservierte das Holz. Dementsprechend wurde dieses Haus auch als „‘‘Rauchhaus‘‘" bezeichnet. Der Rauch sammelte sich im Dach und zog von dort durch ein Loch in der Giebelwand, die "Ulenflucht" ins Freie. Die Giebelwände selbst waren so verbrettert, daß der Wind durch die Ritzen blasen konnte, was ebenfalls zum Trocknen der Ernte beitrug.

Eine Untersuchung aus dem Jahre 1974 verdeutlicht die damaligen Lebensumstände der Menschen. in einem noch bewohnten und bewirtschafteten Haus wurden Innentemperaturen gemessen, die um 4-6 Grad Celsius über der Außentemperatur lagen.

Aus Mangel an natürlichen Steinen wurden in Herne ebenfalls Fachwerkhäuser errichtet. Die für das Fundament bzw. Sockelmauerwerk erforderlichen Steine mußten aus Steinbrüchen über für frühere Verhältnisse weite Entfernungen herangeschafft werden, z. B. vom Stimberg aus der Haard oder von der Ruhr.

Die in Herne errichteten Häuser stellten eine scharf abgegrenzte Unterart des niederdeutschen Hallenhauses dar. Von der Konstruktion her wurden sie meist als Vierständerbauten errichtet. Der Grundriß unterschied sich jedoch von der vorher beschriebenen Grundform. Seit etwa 1750 war das Flett schon verkümmert, eingeengt von dem starken Bedürfnis nach Sonderräumen des Wohnens. Das Einziehen einer Scherwand führte zur Trennung von Deele und Flett. Mit dem Abschließen auch der in die Seitenschiffe eingreifenden Nischen des Fletts entstand der Grundriß eines jener Haustypen, der in Herne und Umgebung anzutreffen war. Als Beispiel soll der Grundriß des noch bestehenden Hofes Werth aus dem Jahre 1744 im Dorf Börnig dienen. In diesem Fall ist das Einfahrtstor aus Gründen des besseren Schutzes vor der Witterung hinter einer Vorschauer zurückgenommen.

Die zweite Grundrißform unterscheidet sich von der ersten durch das Kammerfach. Hierbei schließt sich ein eigener Wohnteil an die Herdwand an, die gleichzeitig Giebelwand ist. Ein Beispiel hierfür ist der Grundriß des früheren Hofes Weusthoff aus dem Jahre 1805 an der Wiescherstraße.

Die Größe der Häuser richtete sich nach dem zugehörigen Grundbesitz. Bei größeren Höfen kamen häufig noch Scheunen und Ställe hinzu. Das Backhaus stand immer etwas abseits des Hauptgebäudes, um die Feuergefahr zu vermeiden.

Daneben besaßen einige Kötter (Dorfbewohner ohne eigene Felder) Häuser, die im Gegensatz zu den beschriebenen Haustypen standen. Sie wiesen eine Quertenne auf, wobei auf der einen Seite die Stellungen und auf der anderen die Wohnräume lagen. Von der reichen Zahl an Fachwerkhäusern ist im Zuge der Industrialisierung nicht mehr viel übrig geblieben. Heute gibt es in Herne nur noch vereinzelt alte Höfe. [2]

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Quellen

  1. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Zwei_drei_vier_Staender.gif
  2. Ein Artikel von Dorothea Voorwold-Halstrick. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin 14. Juni 2015