Bodenverhältnisse in und um Herne (Lindemann 1926)
Zwischen dem 22. Februar 1926 und dem 15. März 1926 erschien in der Lüner Zeitung eine 5teilige Artikelserie über die Bodenverhältnisse in Herne von einem Herrn "S. Lindemann". Wir zitieren diesen interessanten Bericht über die Geologie unserer Heimat in der so herausgegebenen Teilen. [1]
I.
Bodenverhältnisse in und um Herne
von S. Lindermann.
Will man zur Kenntnis der Bodenverhältnisse einer Gegend gelangen, so bedarf es des Einblicks in dieselben. Der Boden muss aufgeschlossen sein. Aufschlüsse finden wir in unserer Gegend verhältnismäßig häufig. Straßen werden zur Anlage von Kanalisationen aufgeworfen, Zechen teufen Schächte ab, in Ziegeleien wird der Boden verarbeitet, hier werden die Grundbauten eines Hauses ausgeführt, dort fährt der Bauer aus der Mergelgrube den fruchtbaren Dungboden auf sein Land. Der Besichtigung vieler Aufschlüsse in unserer engeren Heimat verdanken die folgenden Ausführungen zum größten Teil ihre Entstehung.— Durch langjährige Beobachtungen ist man zu einer Erkenntnis der Altersfolge der Gesteine und der Lebewesen, sowie der Umgestaltungen und Verschiebungen in der äußeren Erdkruste und deren Bau gelangt, also zu einer Übersicht über die Erdgeschichte (historische Geologie). Die Erde, wie sie sich heute uns zeigt, ist ganz allmählich im Laufe ungeheurer Zeiträume entstanden. Man muss sich von der Vorstellung frei machen, dass die Erdoberfläche etwas Beständiges sei. Im Laufe der Erdgeschichte vertauschen Festländer und Meere ihre Stelle. Es ist wohl kein Punkt der Erde, der nicht schon mal vom Meere bedeckt gewesen ist.
Für unsere Gegend war das Kreidemeer von Bedeutung, ein Meer, das der Kreidezeit des Mesozischen Zeitalters, der Ära der mittleren Tierwelt, angehört. Dieses Meer bedeckte das Gesamtgebiet der heutigen Münsterschen Bucht. Südlich von Bochum und damit südlich von uns hatte es seinen weitest vorgeschobenen Küstenverlauf. Später zog sich das Meer zurück. Seine Ablagerungen hat es uns gelassen. Es sind die Mergelschichten, die bis zu großen Tiefen das ganze Münstersche Becken ausfüllen. Der westfälische Bergmann kennt den „grauen Mergel“. Er ist für ihn nicht weniger wichtig als für den Geologen, der ihn als Emscher Mergel bezeichnet. Seine ausgedehnten, meist von der Emscher Niederung liegenden Schichten sind bei uns zum größten Teil durch Bildungen aus der Neuzeit der Erdgeschichte, dem Känozoikum, überdeckt. In der Haardt. nördlich von Recklinghausen, taucht der Emscher Mergel unter jüngeren Schichten desselben Zeitalters, unter das Senon, das im Gebiete des Messtischblattes Herne nicht angetroffen worden ist. Gute Aufschlüsse des Emscher Mergels finden wir im Amtsbezirk Sodingen.
Hier, wo das Münsterland übergeht in die dem Haarstrang im Norden vorgelagerten Erhebungen liegt der Emscher Mergel oft frei zutage. Die Kleffken, Hügenbergs Busch, der Weinberg, die Holthauser= und Sodinger Ziegelei, sowie der Beinberg lieferten in ihren „Mergelkuhlen“, schöne Versteinerungen, wie Belemniten — im Volksmund „Donnerkeile“ genannt - Muscheln und Schnecken.
Die charakteristischen Muscheln des Emscher Mergels sind die Inoceramen; besonders der Inoceramus digitatus, den die Aufschlüsse in guten Exemplaren geliefert haben. Beim Abteufen der Wetterschächte auf Erie=Castrop fand man bei 90 Meter Tiefe Inoceramus subcardissoides, inoceramus digitatus und inoceramus involutus. Die am meisten verbreiteten Schnecken sind die Ammoniten, die sogen. Ammonshörnchen. Ganze Exemplare finden sich davon selten. In ihrer zusammengepressten Form sind sie wenig widerstandsfähig und zerfallen sehr leicht. Die bekanntesten Arten sind: Ammonites texamis und ammonites mengedensis (Mengede=Vorkommen). Man hat in ihnen den Schulp von Tintenfischen erkannt. Bei unsern heutigen Tintenfischen ist der spitze Teil zu einem winzigen Spitzchen zusammengeschrumpft. Die Größe der Belenniten in hiesiger Gegend schwankt zwischen 2 und 10 Zentimeter. Die Belemmiten sind Gebilde von langgestreckter, meist zylindrischer Form und sind an einem Ende zugespitzt, so dass sie fast wie Zigarren gestaltet sind. Emscher Mergel tritt uns als grauer, mitunter auch etwas blauer Mergel entgegen. Er ist in den angeführten Aufschlüssen sehr tonig. In den Schicht- und Kluftspalten, wovon letztere vornehmlich durch die eindringenden Pflanzenwurzeln gebildet sind, hat sich der reine Ton in schokoladebrauner Farbe ausgebildet. Wo er sich über ausgedehnte Schichtflächen ausbreitet, verwehrt er dem Sickerwasser das weitere Eindringen. Beim Abteufen wird der Mergel infolge dieser Beschaffenheit meist wasserarm vorgesunden. Da den Wassern durch die Tonschicht Halt geboten wird, so sucht es sich einen Ausweg in der Schichtrichtung abwärts. Wo es einen Ausweg findet, dringt es oft wieder an die Erdoberfläche, nach starkem Regen manchmal hoch aufsprudelnd. Vor einigen Jahren hat man an dem Aufgang zum Holthauser Kommunalfriedhof - Bericht der Herner Zeitung - nach langanhaltendem heftigen Regen meterhohe Strahlen wahrgenommen. Diese Quelle liefert beute noch Wasser. Sie speist ein kleines Rinnsal. Durch die Zusammensetzung des Emscher Mergels bedingt, sind Quellen überhaupt im hiesigen Bezirk sehr zahlreich. Die meisten finden wir am Übergang der Erhebungen zur Ebene. Man kann von einem Quellhorizont reden.