Auf den Hund gekommen
Es war so in den frühen 1970er-Jahren, unser Vater war in den Ruhestand gegangen.
Doch dann gab es ein Familienproblem. Vater freute sich zwar auf das ruhige Rentnerleben, wusste aber zunächst nichts mit der üppigen Freizeit anzufangen. Er las viel, zunächst sehr gründlich die Tageszeitung, dann nach der zweiten Zigarette und der dritten Tasse Kaffee folgte ein Krimi. Anfangs gefiel es meiner Mutter, dass ihr Mann nun von früh Morgens bis spät Abends zu Hause war. Aber dann wurde ihr bewusst, der täglich Tagesablauf, der sich zu einer Art eingeübter Gleichlauf entwickelt hatten, war ins Trudeln geraten. Wenn sie den Staubsauger schwang oder das Mittagessen für meine Brüder Walter und Lothar vorbereitete – „Vater störte immer“. Er gab Ratschläge, aber eine Hilfe im Haushalt war „eines Bergmanns Sache“ wohl nicht.
„Walter, such dir ein Hobby“, riet Mutter daher ihrem Mann, doch der wollte weder joggen, Briefmarken bestaunen oder Goldfische züchten. Nein, er liebte seine Krimis und blieb in der Wohnküche sitzen. Mutter schüttelte den Kopf und bat uns Kinder eines Tages um Rat. „Wie wäre es mit einer Reise“, warf arglos mein jüngerer Bruder Lothar ein. Mutter schüttelte wieder das graue Haar. „Ist keine Lösung. Es muss etwas langfristiges sein.“ Wir gaben ihr recht.
„Wie wäre es mit einem Tier?“, versuchte ich mit meinem therapeutischen Halbwissen das Gespräch in eine gewisse Richtung zu lenken. „Tiere sind gut“. Meine Mutter und meine Brüder nickten. „Gute Idee“, lachte auch Mutter. „Schildkröte, Kaninchen, Katze“, fragte Lothar wieder sehr naiv. „Quatsch“, wehrt Mutter resolut ab. Auch mein Bruder Walter stimmte mit einem Kopfnicken zu.

„Ja ein Hund wäre wohl genau das richtige für Euern Vater“, warf Mutter ein. Ihre Stimme klang versöhnlich und liebevoll. Nun war der Augenblick gekommen, um Vaters guten Cognac zu probieren. Mutter nickte wieder zustimmend. Sie schenkte sogar ein. „Wir besorgen einen Hund. Wenn Papa Geburtstag hat, ist er hier“, versprach ich und spendierte eine weitere Coqnacrunde aus Vaters wertvoller Weihnachtspulle.
Der Familienrat, der diesmal ohne das wichtigste Vorstandsmitglied tagte, stimmte meinem Vorschlag zu. So besorgte ich in den nächsten Tagen einen Hund, denn der Geburtstag nahte. In einem Tierheim war ich fündig geworden.
„Gino“ hieß der schwarze Pudel, den ich im Namen der Familie einige Tage später unserem Vater als Geburtsgeschenk überreichte. Zunächst beäugte Vater den Hund sehr skeptisch, der neben ihm in der Wohnküche an seinem Lieblingsplatz saß. „Für mich?“. Wir bejahten die Frage mit sichtlicher Freude. „Ja, als kleiner Junge hatte ich schon mal einen Hund...“ Mutter verdrehte die Augen. Nein, nicht schon wieder diese ollen Kamellen.

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Einzelnachweise
- ↑ Dieser Text wurde von Friedhelm Wessel zur Verfügung gestellt. Der Text darf nicht ohne Genehmigung verändert oder weitergegeben werden.
- ↑ Ein Artikel von Friedhelm Wessel
