Alte Bauernhäuser in Herne und Umgebung (1922)
Stadtbaurat Heinrich Hoose[1] widmete in der Jubiläumsausgabe zum 25jährigen Stadtjubiläum am 1. April 1922 im Herner Anzeiger einen besonderen Artikel über alte Bauernhäuser.[2]
Alte Bauernhäuser in Herne und Umgegend.
Von Stadtbaumeister Hoose=Herne.
Über die älteste Gestalt des Hauses geben die Hausurnen Aufschluss, die in einigen Gegenden Deutschlands gefunden sind; sie gehören der vorgeschichtlichen Zeit an und sind augenscheinlich Nachbildungen der Wohnstätten ihrer Verfertiger. Es waren Grubenwohnungen, wie sie die Naturvölker noch heute bauen, trichterförmig in die Erde eingegraben und mit Reisig, Moos und Schilf usw. gedeckt. Eine Türöffnung in dem hügelförmigen Dache, deren Klappe durch einen vorgeschobenen Block oder Baum geschlossen werden konnte, vermittelte den Verkehr und führte der Grube Licht und Luft zu. Die Hütten der Lappländer und die Kathen der Jäger und Köhler geben uns eine Vorstellung von diesen urwüchsigen Wohnstätten. Für Feldfrüchte dürften Gruben vorhanden gewesen sein, wie solche als Mieten und Schober noch heute gebräuchlich sind. Zum Schutze gegen wilde Tiere und Witterungseinflüsse wurden auch Aufenthaltsräume auf Bäumen, Pfahlbauten oder Klippen, sowie in Höhlen usw. hergestellt. Einen Fortschritt im Hausbau zeigen andere Hausurnen mit Türen in den Seitenwänden. Sie stellen Häuser über der Erde dar und sind rund mit bienenkorbähnlichem Schilfdach ähnlich den auf der 179 n. Chr. errichteten Antoniensäule abgebildeten Hütten der von den Römern besiegten Quaden oder viereckig mit steilem Strohdach. Diese Hütten bestanden aus einem einzigen Raum, in dessen Mitte das Feuer brannte. Der Herdraum hat sich so als Mittelpunkt des Hauses stellenweise bis ins 18. Jahrhundert erhalten. Der Hauptbaustoff war Holz, bis durch römischen Einfluss das Maurerhandwerk, und zwar zunächst an der Westgrenze Deutschlands, Geltung erlangte. Mit den Baumstämmen wurden Blockbauten oder Fachwerkbauten ausgeführt, bei welch letzteren die Gefache mit Flechtwerk aus gespaltenen Stäben und Ruten, Lehm und Kieselsteinen ausgestakt, an der Wetterseite auch wohl mit Schindeln bekleidet wurden. Das Dach wurde mit Stroh oder Schindeln gedeckt. Vielen Schmuck besitzt das alte deutsche Bauernhaus im allgemeinen nicht, es beschränkt sich auf die Ausfüllung der Gefache mit Ziegelmustern (Niederdeutschland). oder Kratzmustern (Hessen), auf schlichte Zimmerarbeit. z. B. Giebelsparrenverzierung, bei denen sich, vielleicht als letzte Spur des alt=germanischslavischen Pferdekultes, Nachbildungen von Pferdeköpfen aber stereometrische Motive u. dgl. finden. Gleichwohl erhält das alte Bauernhaus insbesondere seines malerischen Wertes wegen, außerordentlich viel Vorbildliches auch für die Baugestaltungen unserer Zeit.
Für das deutsche Bauernhaus kommen hauptsächlich 3 Bauweisen in Betracht: die Nieder= deutsche oder sächsische, die mitteldeutsch=fränkische und die oberdeutsch=gebirgsländische. Erstere mit friesischer Abart in Hannover, Westfalen, Mecklenburg und Schleswig=Holstein, und, beeinflusst durch die mitteldeutsche, im Ostdeutschen Koloniallande; die fränkische am Rhein, in Hessen, Thüringen, Franken, Königreich Sachsen, Schlesien, Spreewald und im südlichen Posen, sowie in Böhmen und einigen anderen österreichischen Kronländern, die gebirgsländische im Schwarzwald, in Bayern, der Schweiz und den österreichischen Alpenländern. Bei der Niederdeutschen und gebirgsländischen Bauweise finden wir die Wohn= und Wirtschaftsräume eng miteinander verbunden, unter einem Dach vereinigt, während bei der mitteldeutsch=fränkischen eine Trennung dieser Räume sowohl im Hause selbst als auch in verschiedene Baulichkeiten auf geschlossenem Hofe stattfindet. Die gebirgsländische Bauart vereinigt die Haupträume teils in verschiedenen Geschossen, teils nebeneinander, die niederdeutsche fast ganz zu ebener Erde.
Uns interessiert in erster Linie das westfälische oder niedersächsische Bauernhaus. Die für Menschen, Viehstand und Vorräte bestimmten, sämtlich unter einem Dach untergebrachten Räume gruppierten sich um einen Mittelraum, die Diele (Dähle), deren Mittelpunkt der Herd bildet. Die Wohnräume sind an der hinteren Schmalseite, die Stallungen an den beiden Langseiten so eingebaut, dass die zwischen ihnen gelegene Diele eine T=förmige Gestalt erhält und mit drei Eingängen, zweien an den beiden Langseiten und einem an der vorderen Schmalseite, versehen ist. Der Eingang an der Giebelseite wird durch ein breites Tor gebildet, durch das ein beladener Erntewagen hindurchfahren kann. Das an den Giebelsparren mit Pferdeköpfen oder anderen Verzierungen geschmückte hohe Strohdach ist gelegentlich abgewalmt und springt über dem Einfahrtstor wohl auch weit vor, eine Vorhille (Vorschuppen) bildend. An der hinteren Schmalseite der Diele steht der Herd; an einer ihrer Langseiten befinden sich die Pferde- und diesen gegenüber die Kuhställe. Über den Wohnräumen liegen Kammern und der Boden, von der Diele hier und da durch eine Treppe und Galerie zugänglich. Der Rauch zog früher aus dem Einfahrtstor oder einer Öffnung im Giebel, der Ulenflucht, ab. Heute ist fast durchweg ein Schornstein, eingebaut.
Altes Wohnhaus von Nockendierk (Dietrich Nocke) in Herne.
Wie sah es früher auf dem Wohnungsgebiete in Herne aus?
Die Aufteilung des hiesigen Bezirks ist im 9. Jahrhundert vorgenommen und die Besiedelung langsam und in der Hauptsache durch Niederländer erfolgt. Außer den Herrensitzen In Form von Westfälischen Wasserburgen, von denen noch einige bis zur Gegenwart (Strünkede, Bladenhorst usw.) erhalten sind, wurden die Wohnstätten in der denkbar einfachsten Weise errichtet.
Wie auch die neuen Niederlassungen stets erst aus den kleinsten Anfängen hervorgehen, ist es auch hier geschehen. Die ersten Unterkunftsräume wurden in der Regel in den fruchtbaren Niederungen an den Heerstraßen errichtet. Herne wurde durch die Heerstraße, welche in der Richtung von Henrichenburg über Crange nach Essen führte (Ludwig=, Hafen=, Forell= und Rottstraße) durchquert, ferner von Bochum in der Richtung über Recklinghausen=Haltern.
Es wurden aus Mangel an natürlichen Steinen in der Hauptsache Holzfachwerksbauten errichtet, welche sich noch bis in die Gegenwart teilweise erhalten haben. Die zum Fundament- und Sockelmauerwerk erforderlichen Steine mussten durch Fuhrwerke aus den Steinbrüchen an der Ruhr usw. geholt werden. Für die Ausmauerung der Fachwerke wurden Lehmpatzen oder Lehmsteine verwandt, welche nicht gebrannt, sondern nur während der warmen Jahreszeit getrocknet wurden. Zum Schutze gegen Feuchtigkeit und Witterungseinflüsse wurden die Wohnstätten mit Holz usw. verkleidet.
Auch wurden die Gefache mit Holzgeflecht versehen und mit Strohlehm beworfen und, wie vorhin erwähnt, von außen geschützt. Als Fußboden in den Räumen wurde in der Regel Lehmboden genommen, erst später kamen Platten und Holzfußboden in Frage. Die Besiedlung ging sehr langsam vor sich und waren in der Emscherniederung lange Zeit Wald und Waldweiden vorhanden. Die für die Bespannung der Fuhrwerke sowie Bestellung des Ackers erforderlichen Pferde wurden aus den Herden der wilden Pferde im Emscherbruch eingefangen und unter Zuhilfenahme der Pferdeprame (Pferdeklemme) in der üblichen Weise gezähmt. Da bei der Verrichtung der landwirtschaftlichen Bestellungsarbeiten wiederholt Belästigungen sowie Beschädigungen der Feldfrüchte vorkamen, ist durch Verfügung des Landrats von Recklinghausen dieser alten Überlieferung ein Ende bereitet und der letzte Hengst auf der Jagd im Jahre 1836 erlegt worden. Der Pferdemarkt in Crange/Wanne soll durch die dauerhaften Pferde aus dem Emscher=Bruch seine Bedeutung erhalten haben.
Durch den Kohlenbergbau und die Niederlassung der Industrie trat ein Umschwung in der Bauart des Wohnhauses ein. Wir werden auf die Weiterentwickelung gelegentlich zurückkommen.
Nachstehende Abbildungen, die durchweg aus der Gegend von Herne und Umgegend stammen und an Ort und Stelle ausgenommen worden sind, zeigen die Entwicklung des weitfälischen bzw. niedersächsischen Wohnhauses. Die einfachste Art eines solchen Wohnhauses bietet die Abbildung Nr. 1 aus dem benachbarten Börnig. Das Haus, das heute zu einer Backstube umgebaut ist, stammt aus dem 16. bis 17. Jahrhundert. Es enthält unten eine Wohnküche und eine Stube, im Obergeschoß und Dachboden zwei Kammern. Es wurde meist vom Großknecht bezogen und ist typisch für die westfäl. größeren Bauernhöfe.
Die nächste Abbildung zeigt das alte Wohnhaus vom sogen. Nocken=Dierk (Dietrich Nocke). Es stand bis vor einigen Jahren an der Stelle, wo sich jetzt der Heiland'sche Neubau in Alt-Herne erhebt. Das Haus ist, im Gegensatz zu den beiden vorher gezeigten, Großkötterhaus, da es mit einer großen Toreinfahrt versehen war, um den Erntewagen durchzulassen. Wie bei allen gezeigten Bauernhäusern bestanden die Wände aus Lehmstakung mit Kalkmörtel. Der Giebel war verschalt und zur Erzielung einer Schattenwirkung mit Brettern abwechselnd hell und dunkel gestrichen. Für die Herstellung des Holzfachwerks, der Streben usw. wurden Naturhölzer verwandt, wie sie sich im Walde gerade boten. Der Fußboden war ursprünglich in Lehm gestampft.
Abbildung 3 zeigt das für Herne historisch interessanteste Bauwerk, das sogen. Bergelmann'sche Haus am neuen Rathause. Dies Haus wurde im Jahre 1792 erbaut. Aus Inschriften, die hier vor kurzem auf alten Herdplatten gefunden wurden, geht hervor, dass an der Stelle des jetzigen Hauses bereits ein älteres gestanden hat, das als Lehnshof zum Besitz Strünkede gehörte. Der Herner Anzeiger brachte
Der Bergelmann'sche Hof am Rathaus.
in Nr. 87 vom 16. April 1921 eine bedeutsame Studie über den Bergelmann'schen Hof, mit wertvollen Erläuterungen über das Riegelwerk, an dem noch die Heimrechts= und Behmezeichen zu lesen waren. Jetzt wird der Stallanbau des historischen Hauses umgebaut, um städtischen Zwecken zu dienen. Wie eine liebliche Oase aus alter Zeit hebt sich die Besitzung aus den modernen Architekturbauten seiner Umgebung hervor und bietet besonders im Frühling in der Blütenpracht der im Hofe angepflanzten alten Obstbäume einen reizvollen Anblick.
Die letzte Abbildung zeigt ein modernes Bauernhaus, den 1853 errichteten Trösken'schen Hof in Herne=Baukau. Die Besitzung befindet sich noch im Besitze der Familie Trösken und dient auch heute noch wohn= und landwirtschaftlichen Zwecken des Besitzers Fritz Trösken. Bei der Betrachtung dieses Hauses ist zu ersehen, dass man die frühere rohere Verzimmerung und Verwendung von Naturhölzern verlassen hat und zu einer mehr künstlerischen Ausführung der Holzsachwerkbauten geschritten ist. Der frühere Besitzer des Hauses war s. Zt. im sehr jugendlichen Alter zum Gemeindevorsteher von Baukau gewählt worden. Über seine Tätigkeit als solcher ist aus dem Alten wenig zu ersehen. Sein Nachfolger im Amte war der Schreinermeister Kortebusch, der sich große Verdienste in seiner mehr als 25=jährigen Tätigkeit als Vorsteher der Gemeinde Baukau erworden hat. Bei der Besitzung Trösken soll lange Jahre hindurch die Feuerspritze der früheren Landgemeinde untergebracht gewesen sein.
Außer den genannten hat es noch eine ganze Reihe von Höfen im Stadtgebiet Herne gegeben. Erhalten sind im nördlichen Stadtteil u. a. noch der Heiermanns Hof an der Hafen= und Nordstraße, ferner der Jürgenshof (jetzt im Besitz der Industrie) und Döhmannshof an der Josefinenstraße. Meist sind die übrigen Höfe der Industrie zum Opfer gefallen. Ein typisches Beispiel dafür, wie der Bergbau die landwirtschaftlichen Besitzungen in der hiesigen Gegend aufgesogen hat, bietet der alte Hof von Westerworth, der sich jetzt mitten innerhalb der Tagesanlagen der Zeche von der Heydt befindet und als Materialienlager benutzt wird. Im Übrigen erinnern an die landwirtschaftliche Vergangenheit der Stadt Herne eine große Zahl von Namen, deren Familien hier noch ansässig sind. Wir nennen nur: Schulte am Esch, Koppenberg, Arndt, Grüter, Hülsmann, Drögenkamp, Schulte=Hiltrop, Schulte=Sodingen, Overkamp u. a. mehr.
Durch den Bau des Rhein=Herne=Kanals und die erfolgte Emscherregulierung und der Nebenbäche der Emscher sind weitere Höfe verschwunden, so u. a. der große Cremer'sche Hof (Ungewitter), der Hof von Bickern gen. Lechtape (vergl. den Artikel „Aus der Geschichte der Familie v. Bickern gen. Lechtape“ in unserer heutigen Festnummer). In Alt=Herne und Altenhöfen sind noch zu nennen der Trösken'sche Hof (jetzt Herner Milchviehhof), der Weusthoff'sche Hof an der Bergstraße u. a.
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Quellen
- ↑ 1926 auf der Baukauer Straße 118 ansäßig.
- ↑ Online und OCR auf Zeitpunkt.nrw