Ende des Herner Stichkanals (Herner Anzeiger 1937)
Am 2. Oktober 1937 wurde im Herner Anzeiger ein Artikel vermutlich von Leo Reiners über das Ende des Stichkanals veröffentlicht. [1]
Ende des Herner Stichkanals
Ab 15. Oktober für jeden Verkehr gesperrt.— Die Späterer Verwendungsart noch unentschieden.
Bekanntmachung
Die Wasserbaudirektion Münster erlässt folgende Bekanntmachung:
Der Herr Reichs- und Preußische Verkehrsminister hat im Einvernehmen mit dem Herrn Reichs- und Preußischen Minister für Ernährung und Landwirtschaft gemäß§ 114 Abs. 4 des Preußischen W.=G. erklärt, dass die Erhaltung des Zustandes des Zweigkanals nach Herne auf der Strecke von Kilometer 8 bis 1,94 (Stichkanal nach Herne), in den der Kanal durch den Ausbau versetzt worden ist, vom 1. Oktober 1937 ab nicht mehr erforderlich ist.
Gemäß § 62 der Strom- und Schifffahrt-Polizeiverordnung für die westdeutschen Kanäle vom 29. 12.1922 mit Nachträgen sperre ich den Stichkanal nach Herne vom 15. Oktober 1937 ab für jeden Verkehr.
Die Sperrung wird gekennzeichnet durch zwei rote Tafeln senkrecht übereinander in einem Abstand von 1 Meter am Ufer auf der in der Fahrtrichtung rechten Seite des Fahrwassers; ferner durch eine quer über anal gespannte Leine an der zwei rote Flaggen befestigt sind.
Für den Beginn der Sperrung wird vom 15. Oktober bis 14. November 1937 nachts die Sperre durch rote Lichter an Stelle der beiden Tafeln kenntlich gemacht; später fällt die Kennzeichnung bei Nacht weg.
Zuwiderhandlungen gegen die vorstehende Anordnung werden auf Grund des § 63 der angezogenen Strom= und Schifffahrt-Polizeiverordnung bestraft.
Münster i. W., den 24. September 1937.
Der Oberpräsident der Provinz Westfalen (Wasserbaudirektion)
J. V.: gez. Unterschrift.
Damit ist endgültig das Schicksal des Herner Stichkanals, der bekanntlich von der Einmündung des Rhein-Herne-Kanals bei Friedrich der Große 3/4 bis zur Bahnhofstraße reicht, besiegelt. Wir haben schon öfter darauf hingewiesen, dass sich dieses Schicksal vorbereitete. Bereits vor mehreren Jahren setzte sich die Gewerkschaft Friedrich der Große für ein Aufgeben des Stichkanals ein. Sie hatte damals keinen Erfolg damit, doch ihr im vorigen Jahr erneut unternommener Versuch hat jetzt zum Ziele geführt. Die Zeche hatte, seitdem die Förderung auf Friedrich der Große 1/2 stillgelegt war, kein Interesse mehr an diesem Kanalteil als Kohlenschiffahrtsweg. Sie verladet in ihrem Hafen bei Schacht 3/4. Umso untragbarer wurden die Belastungen für die Instandhaltung des Kanals, der im Abbau- und Senkungsgebiet der Zeche Friedrich der Große liegt.
Sie standen in keinem Verhältnis zu der gegenüber früher erheblich zurückgegangenen Verkehrsbedeutung dieser Kanalstrecke und des sog. Herner Hafens, der das Kanalende an der Bahnhofstraße bildet. Da nach bergbaukundigen Urteil demnächst noch weitere Bodensenkungen zu erwarten sind und der Stichkanal sich schon jetzt in bedenkliche schlechtem Zustand befindet (die Steinböschungen sind an vielen Stellen eingefallen, das Wasser spült die Löcher weiter aus, bei der Langforthbrücke wäre die Böschung vor einigen Jahren in einer Alarmnacht beinahe durchgebrochen), so würde eine Generalreparatur verlorene Riesensummen bedeuten.
Schon vor einiger Zeit hatte die Wasserbaudirektion Münster den am Stichkanal noch interessierten Wirtschaftsunternehmen und Wassersportvereinen die Verträge gekündigt. In Frage kommen hauptsächlich die Personenschifffahrt, die nun ihre Abfahrtsstellen nach Friedrich der Große 3/4 verlegen muss, das Sand- und Kieslager, das an den Rhein-Herne-Kanal verlegt werden soll (der dafür ausgearbeitete Plan hat aber noch nicht die Genehmigung der Wasserbaudirektion gefunden), sowie die Bootshäuser der Wassersportvereine, die die Zeche am neuen Stichkanalabschluss neu errichten will, wenn die Vereine Verzinsung und Amortisation übernehmen.
Wie aus der obigen Bekanntmachung hervorgeht, soll zunächst das Aufgeben des Stichkanals durch ein Seil angedeutet werden, das über den Kanal gespannt wird. Doch kann das keine Sache von langer Dauer sein, weil die Senkungsschäden sich ja noch vermehren werden und das Wasser nicht stagnieren und Fäulnisstoffen günstigen Nährboden bieten darf. Mann wird also demnächst 200 Meter vom Hafen Friedrich der Große 3/4 entfernt die vorgesehene Absperrwand ziehen und den Stichkanal auf seiner ganzen Länge von 3 Kilometer leerlaufen lassen. Dann wird sich das Bild bieten, das wir schon einmal in der Franzosenzeit hatten, als der Emscherdüker gesprengt war. Man braucht sich nur dieses Bild vorzustellen, um zu ahnen, welche bedeutungsvolle städtebauliche Veränderung das aufgaben des Stichkanals nach sich ziehen wird. Zunächst muss die Frage entschieden werden, was mit dem leeren Kanalbett geschehen soll, ob er zugeschüttet oder auf anderer Weise nutzbar gemacht werden soll. Bekanntlich hat die Stadt Herne vorgeschlagen, die Verbands Straße OWII in das Kanalbett zu legen. Aber bisher ist darüber noch keine Entscheidung gefällt. Der Ruhrsiedlungsverband steht noch mit der Wasserbaudirektion Münster in Verhandlungen. Erst wenn der Gedanke der Verbandsstraße – die OWII war bisher durch die Roonstraße geplant und sollte von der Bahnhofstraße ab auf dem alten Bahndamm der Westfälischen Eisenbahn weitergehen – endgültig angenommen oder abgelehnt ist, wird man weitere Pläne ausarbeiten und Entschließungen fassen können. Jedenfalls werden mit dem Aufgeben des Stichkanals erhebliche städtebauliche Neuplanung in Bezug auf Verkehrswege, bauliche Aufschließung der anliegenden Gelände usw. erforderlich sein.
Mit dem 15. Oktober wird für den Herner Stichkanal eine 50jährige Geschichte zu Ende gehen. Ein halbes Jahrhundert ist es jetzt her, dass durch Gesetz vom 9. Juli 1886 der Bau eines Schifffahrtskanals von Herne zur unteren Ems festgelegt wurde. Er sollte später durch eine Kanalstrecke vom Rhein bis Herne zu einer Verbindung vom Rhein zur Nordsee ausgestaltet werden. In den Jahren 1893-96 ist die Kanalstrecke von Herne bis Henrichenburg gebaut worden. Als dann von 1908 an der Rhein-Herne-Kanal gebaut wurde, verband man ihn mit dem Dortmund-Ems-Kanal nicht an der Bahnhofstraße, sondern weiter östlich bei Friedrich der Große 3/4, und von diesem Augenblick an hatte Herne seinen „Stichkanal". Als der Rhein=Herne=Kanal noch nicht bestand und der Herner Hafen Ende und Anfangsstelle des Dortmund-Ems-Kanals war, herrschte hier ein lebhafter Schiffsverkehr. So kamen im Jahre 1911 im Herner Hafen 193 Personendampfer, 1378 Schlepper und 1683 Segelschiffe mit rd. 52 000 Tonnen Fracht (hauptsächlich Mehl, Holz, Steine, Kartoffeln und Torfstreu) an, während fast ebenso viel Schiffe mit 480 000 Tonnen Fracht (Kohlen, Koks, Steine, Eisen, Schienen, Zement usw.) abgingen. Die Handelskammer Bochum hat im Jahre 1900 sogar eine Schleppbahn von Bochum zum Herner Hafen ins Leben rufen wollen, doch ist daraus nichts geworden.
Längst verklungen sind die Zeiten, wo der Stichkanal und der Herner Hafen ein so lebhaftes Bild des Schiffsverkehrs boten, der Rhein-Herne-Kanal und statt des Herner Hafens der Hafen Wanne-Herne haben seine Verkehrsaufgaben zu einem großen Teil übernommen. Nun geht auch der Kanal selbst dahin. Nur noch wenige Tage, dann furcht kein Schiff mehr seine Wellen und nicht einmal ein Paddelboot wird darauf spielen. Der Stichkanal wird tot sein, und bald wird er auch kein Wasser mehr haben. Er wird ein schmutziger Graben sein, aus dem hoffentlich in einigen Jahren eine schmucke Straße entstanden sein wird, über die Autos sausen und brausen, während die Herner auf den alten Leinpfaden des Ufers als auf neuen Grünwegen spazieren gehen.
