Die zwei Seiten der Bahnhofstraße (WAZ 06.11.14)
Herne. Apotheker Dr. Peter Kieselack klagt über die Vernachlässigung des unteren Teils der Bahnhofstraße. Sie werde bei Veranstaltungen schlichtweg vergessen.
An diesem trüben Novembertag wirkt der untere Teil der Bahnhofstraße gewissermaßen trist, aber längst nicht trostlos. Jugendstilfassaden wechseln sich mit den schlichten Fronten der Nachkriegszeit ab. Eine Spielhalle, ein Laden mit „supergünstigen Lebensmitteln“ und das Haarstudio Antalya weisen darauf hin, dass dieser Bereich von Hernes Hauptgeschäftsstraße dem weniger zahlungskräftigen Publikum vorbehalten ist. Mittendrin, schräg gegenüber dem verlassenen Hertie-Haus, die Blaue Apotheke. Deren Inhaber möchte mehr machen aus diesem Teil des „Boulevards“, fühlt sich von Politik und Stadtverwaltung im Stich gelassen.
Dr. Peter Kieselack führt die Blaue Apotheke seit 1979. Jetzt regt er sich auf, weil „seine“ Straße vernachlässigt werde: „Die Bahnhofstraße geht bis zum Bahnhof und nicht nur bis zum Robert-Brauner-Platz“, schimpft der 76-Jährige. Schuld sei längst nicht nur der Zustand des ehemaligen Hertie-Hauses in seiner unmittelbaren Nachbarschaft, Schuld trage auch die Stadt selbst: „Schauen Sie, wenn Weihnachtsmarkt ist und Martini-Markt oder „Nightlight Dinner“, dann findet alles immer nur bis zum Robert-Brauner-Platz statt, der restliche Teil der Bahnhofstraße geht leer aus. Hier parken allenfalls die Zulieferer, hier werden Paletten hingestellt und Kühlautos.“
Früher habe er mal einen Blumenstand vor seiner Apotheke gehabt. Und vor der Eisdiele seien Tische aufgebaut gewesen. „Da hatten wir noch urbanes Leben hier.“ Doch dann habe die Stadt die Standmieten dermaßen erhöht, dass dieser Straßenteil seitdem nicht nur verkehrs-, sondern auch fußgängerberuhigt sei. „Jetzt erzielt die Stadtverwaltung gar keine Einnahmen mehr“, kritisiert Kieselack. Im unteren Teil der Bahnhofstraße stecke jede Menge Potenzial, meint der Apotheker. „Hier findet Integration statt.“ Rund 50 Prozent seiner Kunden seien türkischer Abstammung, „nette Leute“. Auch seine Mitarbeiterinnen sind zum Teil Türkinnen, und er sei überaus zufrieden mit ihnen.
Kieselack hat einiges erlebt in seinem Leben und lässt sich nicht erschüttern. 30 Jahre lebte er in Ostberlin, promovierte an der Humboldt-Universität, bis er es in der DDR nicht mehr aushielt und über Bulgarien in den Westen „rübermachte“. Dann hängte er an der Uni Marburg ein komplettes Pharmazie-Studium dran und landete schließlich in Herne. Ans Aufhören mit dem Arbeiten denkt der 76-Jährige nicht, überhaupt nicht, und sagt vielmehr: „Überlegen Sie mal, wann Adenauer Kanzler wurde!“
Martin Tochtrop
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