Erstes Auftreten von Juden in Herne

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel
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Autor Kurt Tohermes
Erscheinungsdatum 1987, in: Sie werden nicht vergessen sein, S. 6 u. 7

Mit letzter Sicherheit konnte bis heute nicht geklärt werden, wann die ersten Juden in das Gebiet der heutigen Stadt Herne kamen. Zur Einweihung der Wanne-Eickeler Synagoge 1910 wurde ein Theaterstück mit dem Titel "Aus vergangenen Tagen" uraufgeführt, das im mittelalterlichen Wanne spielt und die Probleme der jüdischen Familien in dieser Zeit darstellt. Das Werk des Dortmunder Dramatikers S. Freund ist leider verschollen, sodass eine Analyse des Stückes auf Historizität nicht mehr durchgeführt werden kann. Das Schatzbuch der Grafschaft Mark von 1486 weist für den hiesigen Raum keine Namen auf, die auf jüdische Familien deuten. Eine spätmittelalterliche einzelne jüdische Familie kann daher nicht nachgewiesen werden. Sie ist aber auch nicht völlig auszuschließen, da in der Nachbarstadt Recklinghausen die jüdische Gemeinde bis 1512 urkundlich datiert werden kann. Zwei Datierungen aus dem Jahr 1748 sind beim augenblicklichen Stand der Forschung die ältesten Spuren der Anwesenheit von Juden in Herne. Im November 1748 erschien beim Eickeler Pfarrer eine Frau, die ihr Kind protestantisch taufen lassen wollte. Der Name des Vaters wird im Kirchbuch nicht erwähnt, nur die Tatsache, dass er Jude ist. Der zweite Hinweis von 1748 ist ein Segensspruch in hebräischer Quadratschrift auf einem Torbalken in Alt-Crange. Leider wurde die Inschrift (5. Mose 28,6) bei der Restaurierung nicht richtig wiederhergestellt und ist so nicht lesbar. Derartige Torbalken aus dem 18. Jahrhundert sind in Westfalen auch an anderen Orten gefunden worden. Das erwähnte Haus ist nur wenige Meter entfernt vom heutigen Kirmesplatz, auf dem früher der Viehmarkt stattgefunden hat. Jüdische Viehhändler gehörten in vergangenen Jahrhunderten traditionell zu den festen Teilnehmern an größeren Viehmärkten, wie es im heimischen Arolsen oder im niederrheinischen Dinslaken ebenfalls nachgewiesen werden kann. So zeigen erhaltene Pläne des Arolser Kram- und Viehmarktes von 1818 - 1820 stets eine "Juden-Küche" in unmittelbarer Nähe des Pferdemarktes. In dieser wurden den jüdischen Händlern koschere Speisen zubereitet, die nach traditionellen Ritualvorschriften vorbereitet worden waren. Wie groß der Anteil der jüdischen Viehhändler in Crange gewesen sein muss, verdeutlicht eine Bekanntmachung in den "Nachrichten des Ruhrdepartements" vom 29.08.1811. Hierin gab der damalige Bürgermeister Steelmann bekannt, dass der traditionell am 10. August stattfindende Pferdemarkt "wegen des jüdischen Sabbath-Tages bis auf den nächsten Montag, den 12. August d. J. verlegt" werde. Da nach jüdischer Religion am Sabbat keine Geschäfte getätigt werden dürfen, wären die heimischen Landwirte durch das Fernbleiben jüdischer An- und Verkäufer geschädigt gewesen. In den Augen des Bürgermeisters wurde so eine Verschiebung des Marktes von einem Samstag auf den nächsten Werktag notwendig, um allen Konfessionen den Geschäftsverkehr zu ermöglichen.



Doch auch außerhalb des jährlichen Viehmarktes nahmen Juden im 18. Jahrhundert am heimischen Leben Teil. In einem erhaltenen Taschenkalender eines unbekannten Cranger Kötters aus dem Jahre 1791 werden mehrfach Juden erwähnt. So verkaufte der Kötter ihnen zum Beispiel "Ein virtle von der ku" oder "kessel und fleis" (Fleisch). Die Eintragung "bauman und der jude itzig haben die kue zu 20 reist takzirt" zeigt die alltägliche Zusammenarbeit von Juden und Nichtjuden. Jüdische Kaufleute besorgten jedoch nicht nur den Vertrieb der hiesigen landwirtschaftlichen Erzeugnisse in das westfälische und niederrheinische Umland. Auch im Geldverkehr lassen sich jüdische Kaufleute im hiesigen Raum bis 1760 zurückverfolgen. Das Geschäftsverhalten war nicht einseitig auf die Kreditaufnahmen ausgerichtet, sondern wohlhabende Gutsherren legten ihr Geld auch bei jüdischen Finanziers an. Für Schlossbesitzer, die über die notwendigen Finanzen verfügten und einen entsprechenden Lebensstil an den Tag legen wollten, erfüllten jüdische Kaufleute hier noch eine dritte Aufgabe. Zu den aufwendigen Festen und Banketten des Rokoko ließ man sich große Mengen an Champagner sowie deutsche, spanische, französische und italienische Weine bringen, die von jüdischen Lieferanten im Ruhrorter Hafen bezogen wurden.

Um 1806 ließen sich die ersten jüdischen Bürger dauerhaft auf dem Gebiet der heutigen Stadt Herne nieder. Die "Mairie Herne" (Bürgermeisterei Herne) gehörte damals zum französisch kontrollierten Gebiet. Die Ideen der französischen Revolution wirkten auf eine Abschaffung vieler politischer und wirtschaftlicher Einschränkungen für die deutschen Juden hin. Unter Napoleons Einfluss entstand das Königreich Westfalen, in dem die allgemeine Wehrpflicht auch für die jüdische Bevölkerung galt. So wurde der jüdische Neubürger Leser Herz im Jahre 1812 gemustert. Auch im privaten Bereich zog man die jüdischen Mitbürger in die Gemeinschaft mit ein. 1813 wurde der Metzger Leser in die Eickeler Martininachbarschaft aufgenommen, die sich "alle Assistence in Noth und Todt versprochen" hatte. Leser schien es dabei nicht zu stören, dass der wirtschaftliche Erlös der Nachbarschaft dem evangelischen Pastor zur Verfügung gestellt wurde. Kurz nach dem Beitritt Lesers kam das hiesige Gebiet wieder unter preußische Herrschaft, viele rechtliche Errungenschaften der jüdischen Minderheit gingen dadurch wieder verloren. Für viele Jahre blieben je eine Metzgerfamilie in Herne (Salomon) und Eickel (Leeser) die einzigen dauerhaft ansässigen Juden. Der Geist der Reaktion zwischen dem Wiener Kongress 1815 und der Revolution 1848 erschwerte auch in Herne und Eickel die Niederlassung jüdischer Handwerker.

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Quellen

Sie werden nicht vergessen sein - Geschichte der Juden in Herne und Wanne-Eickel (Ausstellungsdokumentation), Herausgeber: Der Oberstadtdirektor der Stadt Herne, 1987