Die alten Kirchen auf dem Eickeler Markt (Grasreiner 1925)

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Der Gelsenkirchener Reinold Grasreiner widmete anlässlich einer Werbewoche Wanne-Eickel-Röhlinghausen am 25. Juli 1925 in der Festausgabe der Wanne-Eickeler Zeitung Nr. 172 einen besonderen Artikel[1] über die alten Kirchen auf dem Eickeler Marktplatz.

„Die alten Kirchen auf dem Eickeler Alten Marktplatz
(Um 1316— 1890)
Von Reinhold Grasreiner[2], Gelsenkirchen

Auf dem Eickeler Alten Marktplatz haben vormals nacheinander mehrere Gotteshäuser gestanden. Wann das erste erbaut wurde, ist nicht nachzuweisen. Doch wird schon in zwei Verkaufsurkunden aus den Jahren 1321 und 1322 nebenbei eine Kapelle in Eclo (Eickel) erwähnt. Vor dem Jahre 1316 gab es noch keine Eickeler Kapelle: denn im Liber valoris (Heberegister, Zehntbuch) der Erzdiözese Köln wird eine solche noch nicht aufgeführt. Folglich wurde die erste Eickeler Kapelle zwischen 1316 und 1321 erbaut. Eickel hätte also vor etlichen Jahren das sechshundertjährige Bestehen seiner Kirche feiern können. Nach der zweiten der genannten Urkunden hatte Eickel bereits einen eigenen Kirchenvorstand, und man bewahrte in der Kapelle, die ein besonderer Küster bediente, schon das heilige Sakrament auf. So muss wohl die Eickeler Kapelle, eine Filiale der Bochumer Kirche, schon damals nahe daran gewesen sein, ihre Selbständigkeit zu erlangen, auch schon eine gewisse Zeit bestanden haben.

Die vorletzte Kirche auf dem Alten Marktplatz wird, wie an dem Sakristeimauerwerk etliche Reste kündeten, wohl ein Mittelschiff mit zwei Seitenschiffen gehabt haben. Der Turm, der etwa 30 Meter hoch war, stand an der Westseite auf der Stelle der letzten.

Der zwischen Turm und Sakristei sich befindende Teil wurde 1714 und 1715 umgebaut. Die adligen Häuser Dorneburg, Dahlhausen und Nosthausen lieferten Holz. Eingesessene übernahmen die Anlieferung von sonstigen Baustoffen. Das Baukapital wurde durch Beiträge, durch eine große Kollekte und durch eine Anleihe von 150 Reichstalern bei Hermann Schulte zu Berge aufgebracht.

Diesem gestattete man für seine Bereitwilligkeit die Abholzung des Unterholzes in den „Düvels=Siepen“ in Grumme bei Bochum. Meister Bernd Steipendahl übernahm gegen 110 Reichstaler den Bau der beiderseitigen „Binnenwerksmauern" nach einem „gemachten Abriß". Die von dem Meister ausgestellte Quittung lautete auf fast 200 Reichstaler. Trotzdem war der Mauerbau so minderwertig ausgefallen, dass man auf den ursprünglich gefasten Plan eines steinernen Gewölbes hat verzichten und sich mit einer hölzernen Decke hat begnügen müssen. Diese musste schon nach 60 Jahren, 1774, erneuert werden. Kaum war die Erneuerungsarbeit vollendet, so zeigten sich am Turm breite Risse vom Sockel an bis fast an die Turmspitze. An verschiedenen Stellen waren die Ankereisen ausgewichen und Balken zerrissen. Ein Maurermeister erklärte sich bereit, eine gründliche Ausbesserung für 150 bis 200 Taler vorzunehmen. Man ging auf das Angebot ein. Die erforderlichen Steine wurden dem Herrn Dobbe auf Haus Nosthausen abgekauft. Sie lagen massenhaft auf Nosthausen und rührten wohl von dem (zum großen Teil) niedergelegten Schloßbau her. Doch da erklärte der Dortmunder Stadtbaumeister, der Turm sei so schlecht, dass er dafür keine acht Tage Sicherheit bieten möchte. Dennoch beschlossen die Eickeler, den Turm vorläufig zu stützen und später ausbessern zu lassen. Gegen diesen Beschluss erhob sich aber in der Gemeinde Widerspruch, der schließlich wohl so stark wurde, dass man den Turm nochmals begutachten ließ. Den Widersprechenden gab das neue Gutachten recht: es erklärte einen Neubau für sehr ratsam und forderte sogar dringend auf, die Glocken sofort abzunehmen, „damit sie nicht den Einsturz beschleunigen und zur Trauer der ganzen Gemeinde verderben möchten." Die Glocken wurden nun sofort abgenommen und auf einem besonders hergerichteten Gerüst auf Halterns Hof (später Brockhoff am Alten Marktplatz) aufgehängt und der Turm abgebrochen. Nach zwei Jahren war das Mauerwerk des Turmes so weit fertig, dass am Tag Simon und Juda (28. Oktober) 1780 der Kirchmeister Lepler den Schlussstein legen konnte. Nach weiteren vier Jahren war der Turm vollständig fertiggestellt, den man mit einem wenig schön wirkenden stumpfen „Winkeldach“ krönte. Das stumpfe Turmdach sagte den Eickelern je länger desto weniger zu. Es wurde aber erst 1867 durch einen ungefähr 15 Meter hohen Helm in Gestalt einer achtseitigen Pyramide ersetzt. Ein ungefähr drei Meter hohes Kreuz erhob sich auf der Turmspitze. Der Helmbau wurde durch den Bauunternehmer Vedder aus Bickern (Wanne) ausgeführt. Die Kosten betrugen rund tausend Taler.

Die alte Johanneskirche auf dem Eickeler Markt.jpg

So fiel denn stückweise die ursprüngliche Kirche, welche die Stürme der „Spanierzeit“ und des Dreißigjährigen Krieges miterlebt hatte, und ebenso stückweise entstand eine andere, die gute und böse Tage der Geschichte der letzten beiden Jahrhunderte in den Zeitenstrom versinken sah. Sie diente dem evangelischen Gottesdienst, hatte spitzbogige Fenster und war einschiffig. Am Chor befanden sich Strebepfeiler, die Decken waren aus Holz.

An der Nordseite des Chores war die Dorneburger Grabkapelle, in die man vom Chor aus gelangte. Über dem Eingang war das Schwerinsche Wappen angebracht. Unter dem Estrich der Kapelle standen viele Särge, große und kleine, die zum Teil die Gebeine der Verstorbenen noch unversehrt enthielten. Die Kapelle selber war zu einer Betkapelle hergerichtet: in der Mitte hing von der Decke herab eine Lampe, und d. Eingang gegenüber war eine Kniebank angebracht für Betende. Auf einem Sockel, der sich dem Eingang gegenüber erhob und zu beiden Seiten an der Wand hinzog, lagen Sinnbilder der Vergänglichkeit: Stundenglas, Totenschädel und gekreuzte Knochen. Zwölf lebensgroße weißfarbige Figuren, die Glieder der Familie des im Jahre 1707 gestorbenen Freiherrn Konrad von Strünkede zur Dorneburg bis auf das kleinste Kind darstellend, standen als Grabdenkmal auf dem Sockel. In dessen Mitte unter der Hauptfigur befand sich die links und rechts von je einem „Engelchen“ gehaltene Aufschrift:

Der Hochwohlgebohrne Herr Conrad Freiherr von Strünkede, Herr zu Dorneburg, Eickel. Thoulouse, Darbone, Büdingen, Sr. Kgl. Majestät zu Preußen Clevischer und Märkischer gebeimbter Regierungsrath, Cämmerer und Droste des Ambtes Bockum und Castrop ist im Jahre 1645 den 30. August gebohren, den 20. Man 1707 gestorben und allhie beigesetzt. Hie nebst der Hochwohlgebohrnen Frauen Elisabeth Sophie Freyfraun von Strünkede Frau zu Dorneburg, Eickel, Thoulouse, Darbone, Büdingen, gebohren Gräfin von Schwerin, so den 27. Dec. 1670 gebohren.

Dieses Epitaphium zum steten Angedenken verfertigen und aufrichten lassen im 1707sten Jahre.

Die Mittel= und Hauptfigur, den Freiherrn Konrad darstellend, zu dessen Füßen der Totenkopf ruht, hält die Rechte am Degenknauf: die zu des Freiherrn Linken stehende Freifrau zeigt eine geöffnete Schriftrolle mit der Aufschrift:

Ich weiß, daß mein Erlöser lebt.

Die zwölf Figuren sind genau in der Tracht jener Zeit dargestellt, der Freiherr und zwei erwachsene Söhne in Panzerkleidung und langwallenden Perücken. Das ganze Grabmal, das sich jetzt im Märkischen Museum in Witten befindet und mehr kulturgeschichtlichen als künstlerischen Wert hat, ist 4 Meter breit, 4 Meter hoch und 2 Meter tief. Etwa drei Meter über der Eingangstür an der Westseite des Turmes ward die Zeit von einer sehr alten Turmuhr angezeigt, die 1834 mit einem Kostenaufwand von 75 Taler fast ganz erneuert worden ist.

Unter dem Turmhelm blickten, gleich groben Augen, nach Westen zwei Schalllöcher, hinter denen drei Glocken mit den Jahresangeben 1512, 1521 und 1672 die Gläubigen zur Kirche und zum Gebet riefen. Die älteste Glocke, dem heiligen Urbanus geweiht, war wahrscheinlich eine sogenannte „Wetterglocke“. Sie trug die Aufschrift:

Sauctus urbanus bin ich genant ∙ myn gelut ∙ gode bekant ∙ herman Vogel goet my ∙ MDXII (=1512)

Die zweitälteste Glocke, die Marienglocke, verkündete durch ihre Inschrift:

vos audite ∙ vocos vos ad gaudia vitae ∙ mortuos plango ∙ vivos voco ∙ fulgura frango ∙ Maria vocor ∙ anno 1521

(Höret, ich rufe euch zu den Freuden des Lebens! Die Toten beklage ich, die Lebenden rufe ich, die Blitze breche ich. Maria werde ich genannt.)

Auf der jüngsten der Glocken stand:

gloria laus et honor sit uni trinoque deo ∙ Dietrich van Boel, anno domini 1672

(Preis, Lob und Ehre dem dreieinigen Gott! Dietrich von Boel. Im Jahre des Herrn 1672.— Dietrich von Boel ist der Name des Glockengießers.)

Alle drei Glocken wurden — leider!— später eingeschmolzen und ihr Metall zu den Glocken des Geläutes der neuen evangelischen Kirche in Eickel verwendet.

In der jüngeren der beiden alten Kirchen gab es zwei Emporen, von denen die eine dem Haus Dahlhausen, die andere dem Haus Dorneburg gehörte. Die Dorneburger Empore wurde 1866 allen Kirchenbesuchern freigegeben. Beide Emporen sind in der älteren Zeit wahrscheinlich kürzer gewesen und erst später nach der Orgel hin verlängert worden.

Die Orgel war ein sehr altes Werk, ward sie doch schon 1591 bis 1593 aufgestellt. Im Laufe der Zeit war freilich durch wiederholte Ausbesserungen von dem ursprünglichen Werk kaum noch etwas übriggeblieben.

Der Taufstein, aus einem einzigen Stein gehauen, konnte seinen Geburtstag bis fast auf das Ende des Dreißigjährigen Krieges zurückverlegen. Er stand später unbenutzt in der Strünkeder Grabkapelle. An den vier Feldern des Taufsteinfußes war je ein Name angebracht. So war zu lesen auf dem ersten Feld:

Theodorus Kleine, Pastor in Ekekl. aeta. 60 (=1660), auf dem zweiten:

Wilhelm zu Röhlinc(hausen), Kerkrath auf dem dritten:

Johan Vitinc hof, Kerkrath a. 1650 auf dem vierten:

Jorye Klinckhammer, Provisor Arm (Kirchrat bedeutet Kirchenvorstandsmitglied: Provisor Arm heißt so viel wie Kirch= und Armenkassenverwalter.)

Ein wahrscheinlich bei Einführung der Reformation in Eickel (um 1570) beschaffter goldener Abendmahlkelch wurde 1709 gestohlen. Im Jahre 1710 ward aus dem Ertrag einer Kirchspielkollekte für ungefähr 37 Reichstaler ein neuer silberner beschafft. der noch vorhanden ist. Der Hauptmann Schragmüller auf Haus Dahlhausen stiftete zum Kelch eine silberne Kanne.

Auf der Kanzel links und rechts war je ein messingner Halter angebracht, stammend aus dem Jahre 1742 und von den Eheleuten v. Düngelen auf Hans Dahlhausen geschenkt. Der eine diente zum Halten einer Sanduhr, der andere zum Tragen von etwaigen Büchern.

Die Kanzel selber stammte aus dem Jahre 1720 und war mit allerhand Schnitzwerk versehen. Als Inschrift trug sie die Worte:

Maria Engel von Neuhoff geborene vom Haus Wenge, Horstmar, Bönninghausen und Neuenburg anno 1720

Diese Dame, die wahrscheinlich auf Haus Dahlhausen wohnte, ist wohl die Stifterin der Kanzel und vielleicht verwandt mit dem abenteuerlichen „König Theodor von Korsika" (Baron Theodor von Neuhoff). Pfarrer Daniels in Eickel berichtete darüber: „Dass eine Verwandtschaft anzunehmen ist, dürfte sich daraus ergeben, dass Theodor von Neuhoff in hiesiger Gegend Verwandte hatte. Eine Nichte von ihm trat 1750 in Wattenscheid zur katholischen Kirche über, unter schrecklichem Auflauf und Tumult des ganzen Fleckens, sodass nicht weniger als acht Personen tot blieben und viele gefährlich verwundet wurden.“ — Diese Mitteilung erschien in einer Londoner Zeitung und wird von anderer Seite, weil sonst nirgends beglaubigt, für eine „Revolvermeldung" des Düsseldorfer Korrespondenten des englischen Blattes gehalten.

Im Jahre 1890 wurde die letzte der alten Kirchen auf dem Eickeler Alten Markt niedergelegt, weil sie den kirchlichen Bedürfnissen nicht mehr genügte und damit man einen geräumigen und ansehnlicher schaffen könnte, auf dessen Mitte jetzt ein großer Rundbrunnen steht.

So ist auch hier die neue Zeit über die alte bin weggeschritten und hat dem Platz, der noch bis 1827 als Totenhof diente, Freiluft und den diesen Platz kranzartig umsäumenden alten und neuen Bürgerhäusern freien Ausblick verschafft. Das eine oder andere der älteren Gebäude mag in stiller Wehmut der vormaligen traulichen Nähe des alten, grauen Kirchleins gedenken und darüber nachsinnen, wann wohl auch ihm das Abschiedsstündlein schlagen.“


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Quellen

  1. Vgl.: Zeitpunkt.NRW
  2. Christian Reinold Grasreiner war Schulrektor und glühender Heimatforscher. Geboren am 31. Oktober 1863 in Auengrund-Crock in Thüringen, gestorben am 12. Februar 1935 in Dortmund. Herausgeber eiens Heimatbuches und Autor zahlreicher Schriften. Vgl.: www.gelsenkirchener-geschichten.de