1000 Jahre alter Hof verschwindet (Pantring 1952)

Aus Hist. Verein Herne / Wanne-Eickel

Nachfolgend finden Sie einen Zeitungsartikel aus dem Jahre 1952. Beachten sie bitte, diesen Artikel im Kontext und mit dem Hintergrund seiner Zeit zu betrachten. Die Rechtschreibung ist, mit einigen Veränderungen, Original.

Bauerngehöft Pantring weicht einer Siedlung
1000 Jahre alter Hof verschwindet
Unter den Schornsteinen von König Ludwig / Wechselvolle Geschichte / Man erzählt aus Schreckenstagen

Recklinghausen. Im Schatten der Zeche König Ludwig, dort, wo im Süd-Osten Reeklinghausen an Herne und Castrop-Rauxel stößt, liegt seit 1000 Jahren der Hof Pantring. In den Urkundenbüchern des Vestes nimmt er manche Seite ein. Schon in der Zeit zwischen der Klostergründung Werden durch den ersten Bischof von Münster, dem hl. Ludgerus, und der Gründung des Stiftes Essen, wird er erwähnt. Das ist jetzt 1000 Jahre her. Nachweislich waren die Vorfahren der Pantrings Bruckterer, ein Germanenstamtn, der unter Hermann mit im „Teuto" gegen die Römer focht. Sie nahmen durch die Sendboten Karls des Großen das Christentum an, wie auch die anderen Höfe Sonntag, Heiermann, Stengel usw., die noch dort im weiten Feld liegen und den Anfang des Münsterlandes bilden.

Wo die Höfe liegen, gibt es nur Felder und Wälder, und mehr als eine halbe Stunde Fußweg ist dort Herne und Castrop-Rauxel baulich von Recklinghausen getrennt. Jetzt kommt die Nachricht, daß die Zeche Friedrich der Große den Hof und das gesamte Gelände gekauft hat und in diesem Jahre dort 120 Wohnhäuser für 500 Familien errichten will. Damit sucht Herne den baulichen Anschluß an den südöstlichen Teil von Recklinghausen Süd. Die Bewohner der neuen Siedlung sind unmittelbar an das Geschäftszentrum im südöstlichen Recklinghausen angeschlossen, während sie nach Herne-Horsthausen etwa 38 Minuten Weg haben. Straßenbahn in Recklinghausen Süd sind es jedoch nur fünf Minuten.

1000 Jahre hat der Hof bestanden. Unser Reporter war in diesen grauen Nebeltagen auf dem Hof, dessen Tage nun gezählt sind, um die letzten Ereignisse für die Heimatchronik festzuhalten. Die letzten Jahrzehnte des Pantringhofes sind typisch für das Ende der vielen Höfe, die die Industrie schluckte und schlucken wird, je mehr der Ruhrbergbau ins Vest rückt und Recklinghausen Mittelpunkt des sich verschiebenden Ruhrgebietes wird.

Schon lange abgeschrieben.

Erst beim Näherkommen entdeckt man, daß er schon lange abgeschrieben wurde und das 1000 Jahre alte Geschlecht Pantring erloschen ist. Westfälischer Bauernstolz, Tradition und Schönheitssinn erstarben hier nach 1000 Jahren. Die bauliche Besitzung ist ein Konglomerat. Alles ist verbaut. Der älteste Teil datiert aus dem Jahre 1734, die Scheune aus 1808 und das Wohnhaus aus 1912. Altes Fachwerk, vermodert und verschmutzt und völlig farblos, klebt angstvoll an einem schwarzen Ziegelbau; stillos aus der kitschigen Bauperiode der Jahrhundertwende. Unter dem schwer gekrünimten Hausbalken auf der Deele und in der Küche steht kein Stück Möbel alter westfälischer Handwerkskunst mehr. Wo einst das trauliche Herdfeuer brannte, ist ein moderner, emaillierter Herd, Linoleum glänzt und ein Regulator tickt.

Nicht sang- und klanglos

Der Letzte seines Geschlechtes, Bauer Pantring, war noch ledig. Als er 1934 im Alter von 65 Jahren nach Menzeln an den Niederrhein zog und dort eine Hofbesitzerin mit sechs Kindern heiratete. Nach fünf Jahren starb er, ohne seinen hier verpachteten Hof wiedergesehen zu haben. Mit seinem Tode war das Hofgeschlecht ausgestorben. [1]

Bauer Berke[2] aus Recklinghausen Süd pachtete den Hof. Er mußte wieder, wie auch alle seine Vorfahren, vestische Scholle unter dem Pflug haben. Jetzt ist der Hof verkauft. Was soll aus dem Bauern Berke werden? Sein Vertrag hat noch zwei Jahre Gültigkeit. So müssen noch, wenn in Kürze die Axt an die Balken des alten Hofes gesetzt wird. Juristen das BGB wälzen. Es ist so, daß ein 1000jähriger nicht sang- und klanglos verschwinden will.

Was der Hof erlebte

Im nächsten Jahre wird es in den alten Bäumen nicht mehr rauschen und die Einsamkeit unheimlich stimmen. Sie singen jetzt die letzten Melodien der reichen Hofgeschichte. An den Herdfeuern der Nachbarhöfe, bei den Alten im Bruch und in Pöppinghausen, erzählt man jetzt an den regenreichen und stürmischen Abenden, was der Hof erlebte, Schrecklich war es 1812/1813, als die Kosaken bei der Befreiung Preußens auf dem Hofe einquartiert waren. Eine Neuauflage der Kosakenplünderung sitzt der Familie Berke noch in den Gliedern, als im Sommer 1945 40 Fremdarbeiter nachts den Hof plünderten, die Familien einsperrten und in den Stuben mit Maschinenpistolen und Revolvern ein Preis-schießen um die Verteilung von sieben Uhren veranstalteten, die man von den Wänden, aus den Schränken und Taschen und von den Armen der gesamten Familie gestohlen hatte. 1920, als der Bürgerkrieg tobte, lag der Hof Pantring tagelang im Niemandsland der Rotarmisten und der Goslarer Jäger. Der Hof war Kompaniegefechtsstand der Roten. Die Familie Pantring saß im Keller, und die 150 Morgen waren schon vom Vollzugskomitee enteignet und aufgeteilt. Aber nur vier Tage lang, dann zog die Reichswehr ein. Auf den Feldern Pantrings lagen vier Gefallene.

1934 gab es einen Oktobertag, den die Süder nicht vergessen werden. Zwei Windhosen zerstörten die halbe Gegend. Auf dem Hofe wurden 31 uralte Eichen, Buden und Birnen entwurzelt. Die Dächer wurden restlos zerstört.

31 Bomben fielen im November 1944 und gaben dein Hof den letzten Knacks.

Siehe auch

Einzelnachweise

  • Stadtarchiv Herne: Ordner Bauernhöfe und Kotten in Herne.
  1. Das ist laut freundlicher Mitteilung von Frau Beate Schäfers geb. Pantring nicht richtig.: "Josef Pantring hatte einen Sohn, [...] Heinrich Pantring, der nach dem 2. Weltkrieg in russische Gefangenschaft geriet und gegen Ende der 50er Jahre verstarb. Er war verheiratet mit der Tochter des Bauunternehmers Nikolaus Haase aus Bochum-Gerthe, der mit einem Architekten aus Dortmund [Johannes Klomp] die Gerther St. Elisabeth-Kirche u.a. erbaute. In Bochum-Gerthe wurde nach dem Krieg mit Hilfe [...] Nikolaus Haase die Gaststätte Pantring neu am Castroper-Hellweg 447 in Bochum-Gerthe aufgebaut, die nach dem Krieg zunächst von [...] Josef [Pantring] und seiner Ehefrau geführt wurde. Sie existierte bis in die 90er Jahre. [...] Aus der Ehe von Heinrich Pantring gingen drei Kinder hervor, Klaus-Peter (1946-2005), Heinz und Beate Pantring."
  2. Heinrich Berke (*11. Mai 1895 in Pöppinghausen (604), ~ am 16. Mai 1895 in Recklinghausen-Süd St. Marien (208)), Eltern: Ackerer Heinrich Berke und Maria Wächter) war gelernter Schmied und beim Bürgerlichen Brauhaus beschäftigt. "Nachdem mein Großvater geheiratet hatte (1927, nach der Inflation und vor der Weltwirtschaftskrise, viele Arbeitslose), hat mein Großvater mit seiner Ehefrau beschlossen, den Hof Pantring zu pachten. („Dann haben wir wenigstens immer was zu essen", war die einfache Begründung in den ungewissen Zeiten der Angst.) Nach meinem Wissensstand aus Erzählungen muss in den ersten Jahren der Pachtung noch der alte Pantring mit auf dem Hof gewohnt haben. Und ihm gefiel, das junge Leute (meine Großeltern) mit ihren Kindern auf dem Hof waren." Freudl. Mitteilung seines Enkel Heinrich Sümpelmann vom 7. Juni 2020.